Sonntag, 13. April 2008

Eine Armee mit nur 30 000 Mann

Im Militärdepartement liegt ein Konzept für eine Armeereform in der Schublade

von Markus Häfliger, 13. April 2008, NZZ am Sonntag, S.15.

Ein Militärexperte hat für das Verteidigungsdepartement ein Konzept für eine Milizarmee mit nur 30 000 Mann erstellt. Eine solche Armee soll besser und erst noch billiger sein.

Die Idee ist derart brisant, dass sie in der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» («ASMZ») nicht erscheinen durfte. Für die April-Ausgabe war ein Artikel über eine mögliche Armeereform vorgesehen, doch die Schweizerische Offiziersgesellschaft(SOG) als Herausgeberin untersagte die Publikation.
«Der SOG-Vorstand hat sein Veto eingelegt», schrieb der «ASMZ»-Chefredaktor am 6. März in einer E-Mail an den Verfasser des Artikels. Die SOG wolle «keine neue Verfassungsdebatte» eröffnen.

Der Autor des verbotenen Artikels ist in Militärkreisen renommiert: Hans-Ulrich Ernst, Brigadier a. D., bis 1996 Generalsekretär des Militärdepartements (heute VBS) und einer der Väter der Armee 95. Tatsächlich fasst Ernst die Armee nicht mit Samthandschuhen an:
«Die Armee ist zu gross, und ihre Bereitschaft reicht nicht»,
lautet die Schlagzeile, unter der Ernst für eine stark verkleinerte, dafür aber schlagkräftigere Armee plädiert. Ernst schlägt vor, dass künftig 90 Prozent der Rekruten den Militärdienst am Stück leisten. Auf diese Weise wären künftig dauernd 9000 Soldaten einsatzbereit; nach sieben Monaten hätten sie ihre Dienstpflicht erfüllt. Geführt würden diese sogenannten Durchdiener von Berufsoffizieren und temporär festangestelltem Milizpersonal.
Damit würde die aktive Armee von heute 120 000 Soldaten auf rund 30 000 reduziert. Hinzu kämen – wie bisher – rund 80 000 Reservisten. Dafür wäre die verkleinerte Armee bei Terrorgefahr oder im Katastrophenfall ohne Verzögerung einsetzbar.
Das ist heute nur beschränkt der Fall: So braucht es für Aktivdienst-Einsätze, die über 4000 Mann benötigen und länger als drei Wochen dauern, extra einen Parlamentsbeschluss. «Das entspräche einer Art Erklärung des Kriegszustandes, die im Ausland nicht verstanden würde», sagt Ernst. Symptomatisch ist auch ein Fall von 1999: Als wegen eines Hochwassers ein Rettungs-Bataillon den Wiederholungskurs vorziehen musste, rückte die Hälfte der Soldaten nicht ein. Entweder waren sie am Arbeitsplatz unabkömmlich, oder sie hatten Ferien gebucht.

400 Millionen billiger
Solche Probleme gebe es nicht, wenn Durchdiener allzeit bereit seien, sagt Ernst. Zudem könnte man die Dienstzeit von 260 auf 210 Tage reduzieren. Eine solche Armee wäre auch billiger. Ernst schätzt das Sparpotenzial im VBS und beim Erwerbsersatz auf über 400 Millionen Franken pro Jahr.
Ernsts Vorschläge sind mehr als die Gedankenspiele eines pensionierten Brigadiers. Seine Idee liegt als Konzept beim VBS, wie VBS-Sprecher Martin Bühler bestätigt. Auslöser war ein Artikel in der NZZ, in dem Ernst sich schon 2005 Gedanken über eine kleinere Armee machte. Dieser Artikel bewirkte mehr, als bisher bekannt war: Im Februar 2006 reichte Ernst beim VBS ein siebenseitiges Konzept mit dem Titel «Miliz XXI» ein − nachdem der Planungsstab der Armee die Machbarkeit offiziell geprüft und grundsätzlich befürwortet hatte. Ernst habe sein Konzept auf eigenen Antrieb eingereicht, sagt Sprecher Bühler. Ernst weist diese Darstellung zurück: Er habe am 15. November 2005 von Raimund Kunz, dem Chef der Direktion für Sicherheitspolitik im VBS, «einen Auftrag» erhalten.

VBS gibt Probleme zu
Dass das Konzept im VBS auf Interesse stösst, belegt auch eine Sprechnotiz des stellvertretenden Generalsekretärs Robert Wieser. Laut der Notiz, die vom 19. Juni 2006 datiert, gab Wieser an einer internen Veranstaltung offen zu, dass die Armee ein Problem habe, nämlich: «die beschränkte Verfügbarkeit der Miliz bei einem grösseren Truppenaufgebot für längere Zeit». Dieser «systemimmanente Mangel» müsse thematisiert werden, forderte Wieser.
Seither passierte nicht viel. Einzig die FDP unternahm einen Anlauf, den Durchdiener-Anteil von heute 15 Prozent zu verdoppeln – doch das Parlament lehnte den Vorstoss ab. Auch Departementschef Samuel Schmid vermeidet die Debatte. Laut einer unbestätigten Quelle soll er an einem Kader-Rapport erklärt haben, mit diesem Thema wolle er nichts zu tun haben.
«Das Konzept wartet auf einen neuen Departementschef», meint Ernst. So war es schon einmal: Auch ein Konzept für die Armee 95 verstaubte in einer Schublade – bis Kaspar Villiger das Departement übernahm und die Reform umsetzte.

Siehe hierzu auch:
Durchdiener - militärstrategische Kräfte oder rasches Abverdienen?

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