Montag, 26. März 2007

Gemeinsame Armee würde EU stärken

Neue Luzerner Zeitung, Seite 3., 24.03.2007
Interview von RAPHAEL PRINZ mit Kurt Spillmann, emeritierter Professor der ETH Zürich. Spillmann forscht und lehrt an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse.


Nationen können ihre Probleme nicht alleine lösen. Auch die Sicherheitsfrage nicht, sagt Experte Kurt Spillmann und lobt Angela Merkel für ihren Weitblick.

Die nationale Souveränität ist auch für die Schweiz eine Illusion.


Angela Merkel schwebt als Ziel für die EU eine gemeinsame Armee vor. Ist das eine gute Idee?

Spillmann:
Merkel nimmt zum 50-Jahr-Jubiläum der EU eine nüchterne und realistische Beurteilung der Lage vor und zeigt, wo der Prozess der europäischen Integration hinführen wird. Ein so grosses politisches Gebilde wie die Europäische Union muss auch seine militärischen Machtmittel koordinieren. Das steht für mich ausser Frage.

Aus welchen Gründen?

Spillmann:
Irgendwie fühle ich mich an die Schweiz erinnert: 1848 hatten noch alle Kantone eigene Streitkräfte, was zu grossen Problemen und einer uneinheitlichen und unkoordinierten Truppe führte. Schon bald, 1874, machte man die Sicherheit und die Armee deshalb zu einer nationalen Aufgabe und nahm den Kantonen diese Kompetenz weg. Einen ähnlichen Prozess wird die EU durchmachen. Man darf nicht vergessen, dass die Sicherung von Frieden und Stabilität in Europa die wichtigste Errungenschaft der Union ist. Sie wurde gegründet, als Europa einer der grössten Unruheherde der Welt war. Eine gemeinsame europäische Armee würde weiter zu Frieden und Stabilität beitragen und die Bedeutung der EU auf dem Globus eindeutig stärken.

Was macht sie so sicher?

Spillmann:
Auch die Fragen von Krieg und Frieden muss man im globalen, ganzheitlichen Rahmen betrachten. Dies in Zukunft noch viel stärker als heute.
Die nationale Souveränität ist ein veraltetes Konzept. Ich sage sogar: Das Festklammern an der Landesverteidigung ist eine Mythologie von rechtskonservativen Kreisen wie der SVP.
Nehmen wir das Beispiel Klima: Die Nationen können dieses Problem nicht alleine lösen. Auch hier müssen Gebilde wie die EU die Richtung vorgeben.

Klimavorgaben für die Mitgliedsländer in Ehren; eine gemeinsame Armee scheint mir aber eine um einiges grössere Herausforderung.

Spillmann:
Das stimmt, die Sicherheit ist eine delikate Angelegenheit. Man gibt die Macht über die eigene Verteidigung nicht gerne ab. Die Polizeikorps als Beispiel sind in der Schweiz immer noch kantonal und teilweise kommunal geregelt. Veränderungen sind schwierig und dauern lange. Ich bin mir aber sicher, dass sich auch Merkel dieser Probleme bewusst ist. Der Aufbau einer europäischen Armee steht nicht kurz bevor, sondern braucht Zeit und Geduld.

Bisher ging es auch mit eigenen Armeen. Warum künftig nicht mehr?

Spillmann:
Die Entwicklung der Waffensysteme geht schnell voran. Die Waffen werden immer mächtiger und komplexer. Es macht keinen Sinn, dass alle europäischen Staaten einzeln Systeme entwickeln und beschaffen. Eine Zusammenarbeit ist sinnvoll, aus sicherheitspolitischen und auch aus finanziellen Überlegungen heraus.

Bleiben wir beim Blick in die Zukunft: Welche Rolle würde die Schweizer Armee spielen?

Spillmann:
Die nationale Souveränität ist auch für die Schweiz eine Illusion.
Sie profitiert sicherheitspolitisch heute schon von der Stabilität und der Zusammenarbeit ihrer Nachbarländer. Sie sollte sich deshalb einem solchen Prozess nicht verschliessen und mitmachen.
Unsere Armee steckt in einer Sinnkrise. Eine verstärkte europäische Zusammenarbeit gäbe ihr eine neue Perspektive.


Weiterführende Literatur:
Nabelschau - oder eine Auseinandersetzung mit verschwiegenen Wahrheiten

Miles Komsopolitis

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