"Wenn Kriege vorüber sind, bleiben immer auch Soldaten, welche die Schrecken es Krieges erlitten und verursacht haben. Wie geht die Gesellschaft mit ihnen um? … Der Mensch macht sich in bestimmten Situationen sowohl bei der Anwendung wie auch bei der Unterlassung von Gewalt schuldig und ist deshalb auf Vergebung angewiesen."[1]
Welchen Soldatentypen können wir als Gesellschaft verantworten und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Ausbildung? Wo liegen die Grenzen des soldatischen Gehorsams? Welche Konsequenzen müssen Soldaten bei offensichtlich rechtswidrigen Gewaltanwendungen ziehen? Können sie die Rechtmässigkeit ihrer Aufträge selber beurteilen?[2] Diese von Baumann aufgeworfenen Fragen sind nicht nur aus dem ethischen Gesichtspunkt zu beantworten, sondern zielen letztlich auf eine strategisch erfolgreiche Kriegführung ab.
Im 21. Jahrhundert kann vom Soldaten keine ungeteilte Loyalität gegenüber dem Staat mehr gefordert werden.
Staatlich sanktionierte Gewaltanwendung muss auch vom Soldaten im Spiegel öffentlicher Meinung und internationaler Abstützung in ihrer Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit kritisch hinterfragt werden. Dieser Miles Kosmopolitis verteidigt schützenswerte Werte und Normen, die er in der Völkergemeinschaft verankert sieht. Diese Werte und Normen sind nicht territorial auf ein Land gebunden, sondern leben in ihrer Idee und laufen gleichzeitig immer wieder Gefahr, Opfer der eigenen Gewaltanwendung und dadurch verraten zu werden.[3]
Erziehung und Führung der Streitkräfte können nur zum Teil diesem Phänomen Rechung tragen, indem die Einsatzprinzipien der Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit bei der Gewaltanwendung in der Militärkultur des Landes verankert werden. Dass der Streitkräfteeinsatz von der Völkergemeinschaft als gerecht betrachtet und legitimiert wird, ist aber Aufgabe der strategischen Führung mit ihrer totalen Strategieformulierung.
Die militärische Ausbildung darf sich nicht mehr isoliert auf Waffen- und Gerätehandwerk, Führungstechnik, Methodik und Taktik beschränken. Will man den geforderten neuen Soldatentyp heranziehen, so muss vor allem deren kritisches Urteilsvermögen geschärft werden, indem erstens offen dargelegt wird, welche ethischen Fragen mit Gewaltanwendung in Verbindung gebracht werden müssen; zweitens welcher Eigentümlichkeit die organisierte Gewaltanwendung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene unterliegt und schliesslich drittens, mit welchen Folgen daraus auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zu rechnen ist.
Art. 58 Abs. 2 der Bundesverfassung bestimmt für die Schweizer Armee folgenden Zweck:
"Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlichen Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen."
Es bedarf zwingend einer Klärung, was heute unter "Krieg"(-sverhinderung) und "Verteidigung" von Land und Bevölkerung zu verstehen ist und wie dies zu erfolgen habe. Hier ist die strategische Führung gefordert und schuldet uns Soldaten eine stringente und einsichtige, da totale, Strategieformulierung. Wozu benötigt die Schweiz eine Armee? Diese Frage muss letztlich beantwortet werden. Manche Überlegungen dazu sind hier zusammengefasst, aber immer aus dem Blickwinkel eines Militärs und bedürfen daher sicherlich noch einer weiteren kontextuellen Vertiefung.
Weiterführende Links:
[1] Baumann, Dieter (2003), Aspekte zur Tradition des "gerechten Krieges". ASMZ, Nr. 6, S. 29-30.[2] Baumann (2003), S. 30.[3] Baumann, Dieter (2006), Gerechtigkeit und soldatische Tugend. ASMZ, Nr. 2, S. 4-5: "Eine universell gültige elementare Gerechtigkeit zeigt sich heute im Schutz der basic human needs and rights sowie der Förderung der weiteren Menschen- und Sozialrechte. Dazu braucht es im Interesse aller Staaten eine funktionierende internationale Rechtsordnung, Gerichtsbarkeit und eine tragende Solidargemeinschaft. Armeen sind in diesem Kontext Instrumente der Rechtserhaltung, Rechtsdurchsetzung sowie subsidiär der globalen Solidarität. Ihre Soldaten sind als kosmopolitische Staatsbürger in Uniform Schutzsoldaten des (inter-)nationalen Rechts mit einer soliden rechtlich-ethischen, staats- und sicherheitspolitischen Bildung. Die Ausbildung des soldatischen Ethos beziehungsweise Korpsgeistes hat über das soldatische Selbstverständnis als Vertreter des nationalen und internationalen Rechts zu geschehen." Vgl. hierzu auch Bachofner, Hans (2005), Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze. ASMZ, Nr. 1, S. 4.
Spillmann, Kurt (2003), Nützt die Neutralität unserer Sicherheitspolitik noch?. ASMZ, Nr. 4, S. 29-30: "Die Schweiz muss von keinem Nachbarstaat einen Überfall befürchten. Es ist kein Szenario mehr vorstellbar, in dem die Schweiz zwischen Hegemonialrivalen zerquetscht würde. Die Schweiz ist umgeben von lauter Demokratien, die auf die gleichen Grundwerte aufbauen, die auch unserem Staatswesen zu Grunde liegen. … Im Integrationsprozess Europas zeigen sich Umrisse und die Basis einer neuen, kooperativen Welt, in der Gewalt nicht mehr unilateral, sondern nur noch polizeilich und multilateral ausgeübt werden soll, wie von der UNO-Charta vorgezeichnet. Da bilden sich die neuen Werte einer Welt des Rechts und der gemeinsam erarbeiteten Verhaltensregeln, von denen zu hoffen ist, dass sie sich gegen unilaterale und imperiale Tendenzen auf Dauer durchzusetzen vermögen."
Spillmann, Kurt (2003), Nützt die Neutralität unserer Sicherheitspolitik noch?. ASMZ, Nr. 4, S. 29-30: "Die Schweiz muss von keinem Nachbarstaat einen Überfall befürchten. Es ist kein Szenario mehr vorstellbar, in dem die Schweiz zwischen Hegemonialrivalen zerquetscht würde. Die Schweiz ist umgeben von lauter Demokratien, die auf die gleichen Grundwerte aufbauen, die auch unserem Staatswesen zu Grunde liegen. … Im Integrationsprozess Europas zeigen sich Umrisse und die Basis einer neuen, kooperativen Welt, in der Gewalt nicht mehr unilateral, sondern nur noch polizeilich und multilateral ausgeübt werden soll, wie von der UNO-Charta vorgezeichnet. Da bilden sich die neuen Werte einer Welt des Rechts und der gemeinsam erarbeiteten Verhaltensregeln, von denen zu hoffen ist, dass sie sich gegen unilaterale und imperiale Tendenzen auf Dauer durchzusetzen vermögen."
3 Kommentare:
Excellente idée que de publier ton blog.... Je fais suivre...
First US officer since Vietnam goes on trial for speaking out
Eager recruit turned critic faces military prison after refusing to fight
by Suzanne Goldenberg in Washington
Saturday February 3, 2007, The Guardian
On the eve of America's invasion of Iraq, he was heartsick at the prospect that he might not be military material. He even shelled out $800 for medical tests to convince the recruiters that he was fit for duty despite childhood asthma that would ordinarily render him ineligible for service.
On Monday, that same eager recruit, now Lieutenant Ehren Watada, faces a court martial for refusing to deploy to Iraq and for making public statements against the war. He is the first officer to be prosecuted for publicly criticising the war - indeed the first since the Vietnam era when an army captain was court martialled for addressing an anti-war demonstration outside the US embassy in London. If he is convicted on all charges, Lt Watada could spend four years in a military prison.
In that trajectory from eager recruit through disillusion to dissent is a transformation that mirrors and resonates with an American public at a point when it too has turned against the country's involvement in Iraq, making Lt Watada a hero of the anti-war movement.
His prosecution was also seen as an issue of free speech after two journalists were subpoenaed to testify against Lt Watada on two additional charges. Those charges were dropped this week.
Lt Watada, 28, argues that to serve in Iraq would betray his conscience and his duties as an officer. "It would be a violation of my oath because this war to me is illegal in the sense that it was waged in deception, and it was also in violation of international law," he told the Guardian. "Officers and leaders have that responsibility to speak out for the enlisted and certainly when we do so it comes with more consequences, which is what a leader should do. A leader can't just go with the crowd.
Lt Watada decided a year ago that he would not serve in Iraq. Since then he has spoken out at press conferences and to veterans' groups. These actions infuriated military officials, who have charged him with conduct unbecoming an officer for publicly saying that service in Iraq would make him party to a war crime, and for suggesting that soldiers could bring the war to an end by throwing down their weapons.
Lt Watada is not the first soldier to voice his objections to the war in Iraq. A number of enlisted men have publicly refused to serve there, citing conscientious objection. Thirteen have sought refugee status in Canada. Thousands more have gone AWOL. Last year, six senior generals, including some who had served in the invasion and occupation of Iraq, demanded that Donald Rumsfeld, then Pentagon chief, stand down.
But Lt Watada is in none of those camps and he does not claim to be a conscientious objector. He decided to go public with his opposition to the war, a choice his civilian lawyer, Eric Seitz, believes singled out Lt Watada for prosecution. "They decided at a lower level to make an example out of Lt Watada," he said. "It was this kind of questioning and resistance that ended up destroying the ability of military forces to fight in Vietnam and they are very concerned about a repetition of that."
Lt Watada's objections to the war are unlikely to be aired at his court martial. The judge has narrowed the scope of the trial and refused defence witnesses.
The Pentagon maintains that Lt Watada gave up his right to free speech when he put on the uniform. "As a soldier you are held to a different standard. You can't go and say things that are going to offend the order and discipline of the military," said Joseph Piek, a spokesman at Fort Lewis, Washington, where Lt Watada is to stand trial. "Soldiers understand that you can't divorce yourself from being a soldier."
That view is also shared by the retired generals who spoke out last year.
"He is wearing the uniform," said General John Batiste, who left the army in protest at Mr Rumsfeld's leadership. Lt Watada's criticism falls into a different category because he was still on active duty. "Discipline is fundamental in a military organisation and officers swear to support and defend the constitution of the United States against all enemies, foreign and domestic, and obey the officers appointed over them."
(...)
"Certainly I joined the military already knowing that we were about to enter a war in which there was some notable opposition," Lt Watada said. "But when the administration comes out and says the threat was imminent and that Saddam has weapons of mass destruction and that he has ties to al-Qaida and therefore he has the means to attack us at any point, I remember telling my father: 'You know, we should give them the benefit of the doubt.'"
He shipped out to South Korea in June of that year. By the time his unit returned to the US in June 2005, American public opinion had already begun to turn against the war. But Lt Watada's conversion did not start until several months later when he began reading up on Iraq in preparation for a tour of duty.
"It was so shocking to me. I guess I had heard about WMD and that we made a terrible, terrible mistake," he said. "Mistakes can happen but to think that it was deliberate and that a careful deception was done on the American people - you just had to question who you are as a serviceman, as an American."
Early last year, Lt Watada took his doubts to his commanding officer, hoping he would be allowed to retire quietly. He also offered to serve in Afghanistan. Both options were refused although the military did offer him a safe berth in Iraq - which he turned down.
Lt Watada accepts that refusing orders on the battlefield would lead to chaos. "In a pitched battle of course you can't have soldiers saying 'oh, no I don't feel like covering that sector right now.'" But he refuses to believe that the dissent of a junior officer would destroy army morale, or threaten control of America's military, and he was not willing to wait until he was out of uniform to speak out. Someone had to speak out, he argues.
"Everybody is scared there is going to be a coup if the military does not bow down to civilian control, but that does not mean to bow down blindly," he said.
"A general can still resign in protest publicly, and not be subverting civilian control. He can be sending a message, and I think it would be a huge message if it was someone on active duty. But these guys wait until they retire and their pension is secure."
He added: "I wish it didn't have to be me. I wish the generals hadn't put me in this position."
17. März 2007, Neue Zürcher Zeitung, eg. Berlin, 16. März
Kein deutscher Soldat muss kämpfen
Die Bundeswehr zwischen Gewissensentscheid und Drückebergerei
Vor zwei Jahren hatte ein deutsches Gericht Bundeswehrangehörigen erlaubt, jederzeit aus Gewissensgründen Befehle zu verweigern. Wegen des bevorstehenden Einsatzes von Tornado-Jets in Afghanistan macht jetzt ein Oberstleutnant davon Gebrauch.
Ein deutscher Oberstleutnant, im Wehrbereichskommando München mit Nachschubfragen betraut, hat den Kriegsdienst verweigert. Als solchen betrachtet er auch seine Büroarbeit, weil er dabei den letzte Woche vom Bundestag beschlossenen Einsatz der Tornado-Kampfflugzeuge in Afghanistan vorbereiten könnte. Doch gegen die Bekämpfung der Taliban im Süden mit Hilfe deutscher Aufklärungsflugzeuge macht der Offizier verfassungsrechtliche, völkerrechtliche und strafrechtliche Vorbehalte geltend, weshalb er sich auf sein Gewissen beruft. Die Bundeswehr soll ohne ihn kämpfen. Mit dem Kriegsgericht muss der Befehlsverweigerer nicht rechnen, im Gegenteil - er kann sich auf höchstrichterliche Rechtsprechung berufen.
Legale Meuterei
Vor zwei Jahren entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass jeder Soldat jederzeit Zweifel anmelden und einen Befehl ablehnen kann. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit sei höher zu bewerten als die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Gewissensnöte nachvollziehbar sind, solange der Soldat diese nur in einer halbwegs rationalen Weise äussert. Das Gericht wies vielmehr die Armee an, sie müsse den Verweigerern in Uniform eine «gewissensschonende diskriminierungsfreie Handlungsalternative bereitstellen», diese also auf einen anderen Posten versetzen. Dabei spielt auch keine Rolle, wie viele andere Soldaten sich ebenfalls auf ihr Grundrecht berufen. Ausserdem können die Soldaten ihr Gewissen nicht nur im rückwärtigen Dienst, sondern auch unmittelbar vor einem Einsatz geltend machen. Im Extremfall könnte eine Einheit, die in den Kampf geschickt werden soll, kollektiv den Befehl verweigern. Es wäre ein Akt der legalen Meuterei, streng nach den Buchstaben des Grundgesetzes. Denkt man die Konsequenzen des Urteils durch, bedeutet dies das Ende der Bundeswehr als fechtende Truppe und generell als handlungsfähiger militärischer Verband. Das Bundesverteidigungsministerium hat dennoch bisher kein Aufhebens um den weltfremden Gerichtsentscheid gemacht.
Zum einen steht die Bundeswehr trotz ihren vielen Auslandeinsätzen nirgends im Gefecht. Sie versieht in der Regel «gewissensschonende» Aufgaben in der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Die Bundeswehr betreibt Spitäler, errichtet Brücken und schaut diskret zur Seite, wenn sie in Afghanistan auf den Anbau von Schlafmohn stösst. Der Anreiz, Befehle zu verweigern, ist daher gering. Selbst die Aufklärungsflüge der Tornado-Maschinen dienen nur dem Zweck, dass sich deutsche Einheiten nicht an den Bodenoffensiven der Nato-Verbündeten beteiligen müssen.
Sport ist Mord
Ausserdem hält sich die Zahl der Soldaten in Gewissensnöten bisher im überschaubaren Rahmen. Nach einem Major, der aus seiner Gegnerschaft zum Irak-Krieg im Jahr 2003 den Befehl verweigerte und damit das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herbeiführte, ist der Oberstleutnant in München der zweite bekannt gewordene Fall. Der Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht zeigt aber, wie weitgehend die höchstrichterliche Interpretation des deutschen soldatischen Gewissens ist. Denn die Bundesrepublik gehörte 2003 gar nicht zur Invasionsstreitmacht. Der Major entwickelte nur eine Software, von der er meinte, die Bundeswehr könne sie zur Unterstützung amerikanischer Truppen einsetzen. Ausserdem verbot er seinen Untergebenen Sport und Schiessübungen, weil damit die Beteiligung der Bundesrepublik «am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak» gefördert werde. Er wurde dafür zum Hauptmann degradiert, doch die Leipziger Richter schlossen sich seiner Sicht an, wonach Leibesübungen in deutschen Kasernen einem Angriffskrieg Vorschub leisteten.
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