Der Kern
Clausewitz' Konzept des Absoluten Krieges[1] ist das Resultat des Versuchs, Krieg als Phänomen, das durch reine Logik und absoluter Vernunft durchdrungen ist, mit seiner tatsächlich Erscheinungsform zu kontrastieren. Für Clausewitz dient sein Konzept des Absoluten Kriegs einzig zum Herausschälen derjenigen Faktoren im Krieg, welche über Zeit und über Kulturkreis hinweg konstant zu bleiben scheinen - also die Natur des Krieges ausmachen. Er entdeckt dabei die Dreifaltigkeitsthese, des Krieges Hang zur Eskalation und die Friktion. Diese Thesen sollen als Theoriegerüst erklären helfen, welche Faktoren die Transformation des Krieges wirklich verursachen.
Folgender Schluss zieht Clausewitz:
"Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elementes, dem Hass und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeug, wodurch er dem blossen Verstande anheimfällt.
Die erste dieser drei Seiten ist mehr dem Volke, die zweite mehr dem Feldherrn und seinem Heer, die dritte mehr der Regierung zugewendet. Die Leidenschaften, welche im Kriege entbrennen sollen, müssen schon in den Völkern vorhanden sein; der Umfang, welchen das Spiel des Mutes und Talents im Reiche der Wahrscheinlichkeiten des Zufalls bekommen wird, hängt von der Eigentümlichkeit des Feldherrn und des Heeres ab, die politische Zwecke aber gehören der
Regierung allein an.
Diese drei Tendenzen … sind tief in der Natur des Gegenstandes begründet und zugleich von veränderlicher Grösse. Eine Theorie, welche eine derselben unberücksichtigt lassen oder zwischen ihnen ein willkürliches Verhältnis feststellen wollte, würde augenblicklich mit der Wirklichkeit in solchen Widerspruch geraten, dass sie dadurch allein schon wie vernichtet betrachtet werden müsste.
Die Aufgabe ist also, dass sich die Theorie zwischen diesen drei Tendenzen wie zwischen drei Anziehungspunkte schwebend erhalte."[2]
Diese vier Abstraktionsebenen lassen sich nun um zwei zusätzliche erweitern: Die Fünfte ist der Umstand, dass sich nach der Dreifaltigkeitthese ein Element für das Regieren durch Zielvorgaben verantwortlich zeichnet, dadurch sinnvermittelnd wirkt und so die Führung im Krieg übernimmt. Ein weiteres Element kämpft und ist somit der eigentliche Gewaltanwender. Die Unterstützung des Volks, so das dritte Element, ist schliesslich unabdingbar, damit Krieg nachhaltig finanziell, personell und moralisch unterhalten werden kann.
Kritiker der Dreifaltigkeitsthese und Entdecker "neuer Kriege" resp. "moderner Kriege" fokussieren ihre Kritik meist auf Clausewitz' dritte Abstraktionsebene unter gleichzeitigem Ausblenden aller anderen fünf.[6] Doch gerade Clausewitz, trotz seines eigenen vom 19. Jahrhundert geprägten Weltbildes, verzichtet in seiner These auf moralische Kriterien. Ihm ist bewusst, dass die Art und Weise der Kriegführung sich über die Zeit (technologischer Wandel) und von Kultur zu Kultur verändern mag.[7] Er behauptet sogar, dass derselbe Krieg durch sein Fortdauern einer Transformation unterliegen wird. Die Dreifaltigkeitsthese besagt ja lediglich, dass in jedem Krieg naturgegeben drei Tendenzen innewohnen, die untereinander zwar agieren aber immer anders stark ausgeprägt sind. Nirgends werden Staatsformen, Militärorganisationen oder Zusammensetzung der Bevölkerung auf Nationen eingrenzend festgelegt. Mit anderen Worten: Ob das für den Griff zu den Waffen sinnstiftende Organ eine demokratisch gewählte Regierung oder charismatische Führer eines "Terror-" Netzwerkes ist, ob die Kämpfer uniformierte Angehörige staatlicher Streitkräfte oder Selbstmordattentäter sind, oder ob die Gewaltanwendung Unterstützung in einer Nation, in einem weltumspannenden Glaubenskreis oder in einer gewissen Sozialschicht findet, ist für die Clausewitz'sche Dreifaltigkeitthese gleichwertig. Unabdingbar bleibt für den Krieg jedoch die Unterstützung des Gros der Bevölkerung resp. der öffentliche Meinung.
Im Verständnis der Dreifaltigkeitsthese gibt es keine Differenzierung zwischen "Humanitäre Intervention", "War on Terror", "Befreiungskriege", "Peace Support Operations", "Low Intensity Conflicts", "Operations other than War", "Moderne Krieg", "Neue Kriege", "War for Freedom", "Friedensförderungsoperationen", "Existenzsicherungsoperationen", "Raumsicherungsoperationen", "Verteidigungs-operationen" … . Allesamt verkörpert nur eine spezifische Ausgestaltung von Krieg.
Anhand der Dreifaltigkeitsthese lassen sich auch verschieden Ansätze der erwünschten Wirkung des eigenen Vorgehens herausarbeiten. Wichtig bleibt aber immer, dass dabei die populäre Unterstützung dem Gegner entzogen wird und gleichzeitig sich diese zu unseren eigenen Gunsten verrückt. Denn Krieg, so erkennt Clausewitz, ist eine Form des zwischenmenschlichen Verkehrs.
[1] Clausewitz, Carl (1952), Vom Kriege (Bonn: Dümmlers), S. 94: Mit dem Konzept des Absoluten Krieges zeigt Clausewitz auf, wie drei Wechselwirkungen die Gewaltanwendung im Krieg theoretisch maximieren. Voraussetzungen hierzu sind, daß Krieg als isolierter Akt, urplötzlich, ohne innen- oder aussenpolitisches Vor- und Nachleben entstünde und daß das Ausfechten des Waffenganges keine Zeit bedürfte.
[2] Clausewitz (1952), S. 110-111
[3] Clausewitz, Carl (1989), On War, eds. and tr. Michael Howard, Peter Paret (Princeton: Princeton University Press), S. 75-77
[4] Smith, Mark K., Johann Heinrich Pestalozzi, http://www.infed.org/thinkers/et-pest.htm accessed 21 November 2002; Rosen (1997), Der pädagogische Clausewitz, http://www.aksow.de/Dateien/Mitglieder/Rosen/CLAUSEWI.pdf accessed 21 November 2002, S.15
[5] Stübig, Heinz, Die Rezeption Pestalozzis in Preussen im Spiegel neuerer Veröffentlichungen, http://www pestalozzi.hbi-stuttgart.de/forum/stuebig/stuebig.html accessed 21 November 2002; Rosen (1997), S.15
[6] Keegan, John (1993), A History of Warfare (London: Hutchinson), S. 391: Due to the increased lethality of modern warfare, especially through nuclear weapons, John Keegan perceives the Western way of warfare no more 'a continuation of politics by other means.' Van Creveld, Martin (1991), On Future War (London: Brassey's), S. 73: Martin Van Creveld criticises Clausewitz's worldview to be one that is too limited to his own time, a time when states with their armies were the only entities entitled to wage war for political aims. Today, however, 'the traditional distinction between peoples and armies is being broken down by new, nontrinitarian, forms of war collectively known as Low-Intensity Conflict.' Coker, Christopher (2002), Humane Warfare (London: Routledge), p 94: Christopher Coker contemplates post-military society in the age of profuse accessibility to information and its implication. Due to the abolishment of compulsory military service in most Western states, 'the relationship between the military, the state and the society … has once again become contractual as it was in the eighteenth century. And it is this development which marks a decisive break with the trinitarian system.'
[7] Clausewitz (1952), S. 860: Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters, Könige des achtzehnten Jahrhunderts: alle führen den Krieg auf ihre Weise, führen ihn anders, mit anderen Mitteln und nach einem anderen Ziel.
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