Montag, 8. Januar 2007

Subsidiärer Einsatz? Komplementärer Einsatz!

Begriff der Subsidiarität, Existenzsicherung, Raumsicherung, Verteidigung, Friedensförderung, … Wem obliegt die Einsatzverantwortung?



"Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes. Die Kantone können ihre Formationen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf ihrem Gebiet einsetzen, wenn die Mittel der zivilen Behörden zur Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit nicht mehr ausreichen." (Bundesverfassung (1998), S. 16, Art. 58 Abs. 3)

Das Prinzip der Subsidiarität für Streitkräfteeinsatz im Innern ist hier verankert. Meiner Meinung nach wird sie den aktuellen Bedrohungsformen nicht mehr gerecht und hemmt zudem die Kooperation im Innern. Als Begründung dafür sind zwei Überlegungen anzuführen:

Erstens, auf der psychologischen Ebene, ist die Aussage, dass die Armee dann eingesetzt wird, "wenn die Mittel der zivilen Behörde zur Abwehr" nicht mehr ausreichen, ungeschickt. Denn sie suggeriert, dass die Armee als "Retter" in die Bresche springt, sobald z.B. die Polizei oder das GWK versagt hat. Dies fördert unter den Korps unbewusst ein Inferioritäts- resp. Superioritätsdenken, was schliesslich in Konkurrenzverhalten mündet. Auch hier ist eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu etablieren, indem komplementäres Expertenwissen herausgearbeitet, gefördert und in gemeinsamen Übungen erlebt wird. Korps sollen sich nicht konkurrenzieren, sondern gegenseitig ergänzen!
Zweitens, heutige Bedrohung sind transnationaler Natur und lassen sich nicht national eigenständig lösen. Wie sollte dies dann auf kantonaler Ebene möglich sein? Müssen tatsächlich "schwerwiegende Bedrohungen der inneren Sicherheit" abgewehrt werden, dann wird dies wohl unweigerlich zu einer Bundesaufgabe. Und damit müsste wohl die politische Führung dem Bundesrat und die operative Führung dem Führungsstab der Armee (FSTA) zufallen.

Wäre das Begriffsverständnis in den Bereichen der strategischen, operativen und taktischen Ebene vereinheitlicht, so wäre es ein Einfaches einzusehen, an welchen Begriffen sich Sicherheitspolitiker und Militärexperten aufreiben.

Der Begriff der Subsidiarität muss als Einsatzprinzip und nicht als Einsatzform verstanden werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht wie bis anhin die Faktoren Zeit, Verfügbarkeit und Durchhaltefähigkeit ziviler Ressourcen ausschlaggebend sind, um zu beurteilen, welche Mittel zu wessen Gunsten subsidiär eingesetzt werden sollen. Sondern einzig die Beurteilung der als besten geeigneten Mittel in ihren komplementären Einsatz und Vorgehensweisen im Rahmen einer operativen Planung soll sich dafür verantwortlich zeigen.

Es ist müssig, über kantonale und nationale Kompetenzen sowie über kantonale Polizei- und Militärhoheiten zu streiten, wenn es Sicherheitsprobleme zu lösen gilt, deren Wurzeln und Verästelung global im internationalen Umfeld zu finden sind. Die Erhöhung der Sicherheit, ohne dabei die in der Präambel der Bundesverfassung festgelegten Grundwerte[1] zu untergraben, ist der gemeinsame Zweck aller Gewaltbewältigungsinstrumente des Staates.

Erhalten Streitkräfte im Rahmen des Operationplans integrale Einsatz- und Raumverant-wortung, so bricht dort nicht eine Militärdiktatur aus. Einzig die in der Schweizer Armee schon im Rahmen subsidiärer Einsätzen etablierten Absprachen zwischen zivilen und militärischen Verantwortungsträger wechseln ihre Sitzpositionen: Während bei subsidiären Armeeeinsätzen der Bedarf an die zugewiesenen militärischen Truppenkommandanten von der zivilen Behörde herangetragen und dann in Absprachen gemeinsam der Truppeneinsatz geregelt wird, wird in einem Raum, wo Streitkräfte integrale Einsatz- und Raumverantwortung tragen, der Bedarf an zivilen Mitteln von den Truppenkommandanten an die zivile Behörde formuliert, um dann deren Einsatz in gemeinsamen Absprachen festzulegen.

Nicht nur der Militäreinsatz im Rahmen von Verteidigungsoperationen, sondern jeder Einsatz von irgendwelchen Mittel zum Zwecke der Interessenwahrung eines Staates (z.B. Bewahrung und Ausbau grösstmöglicher Freiheit staatlichen Handelns, Erreichen wirtschaftlichen Wachs-tums) ist ein Führungsakt der strategischen Ebene und Resultat deren (totalen) Strategieformulierung. Das Primat der Politik ist somit nicht exklusiv in Verteidigungsoperationen zuzuordnen, sondern gilt auch in Existenzsicherungs-, Raumsicherungs- und Friedensförderungsoperationen und ist somit allumfassend. Die Meinung, "nichtsubsidiäre" Einsätze folgten weniger diesem Prinzip, lassen befürchten, dass diese Einsätze einer eigenen Logik der taktischen Notwendigkeit gehorchten - also dann so etwas wie ein Primat der Taktik vorherrsche. Dieses Einsatzverständnis führt jedoch gezwungener Massen zu Aktionen, die zum Selbstzweck degenerieren, ohne ein operatives und dessen übergeordnetes, strategisches Ziel zu verfolgen.


[1] Bundesverfassung (1998), S. 5: Präambel: "Im Namen Gottes des Allmächtigen! Das Schweizervolk und die Kantone, inder Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung: …".

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Falls das so gemeint ist, wie ich es verstanden habe, erhebe ich Einspruch.
Die Armee hat in einem Rechtsstaat idealerweise nichts mit der inneren Sicherheit zu tun. Idealerweise, weil die Realität bekanntlich anders aussieht: In der Schweiz unterstützt die Armee die zivilen Behörden dort, wo diesen die Ressourcen fehlen. Daher auch das Wort "subsidiär": Zuerst kommen die zivilen Sicherheitskräfte, und nur wenn diese eine Situation nicht alleine bewältigen können, kommt die Armee zum Einsatz.
Diese Aufgabe mag für die Armee unbefriedigend und (strategisch?) ungünstig sein. Trotzdem ist diese Reihenfolge absolut grundlegend. Deshalb subsidiäre und NICHT komplementäre Einsätze.
Dass innere und äussere Sicherheit nicht mehr einfach zu trennen sind und daher die Frage nach der Zuständigkeit schwierig zu beantworten ist, leuchtet mir ein. Dennoch ist mir das subsidiäre Prinzip wichtig.

Unknown hat gesagt…

Die Armee kann niemals von der "inneren" Sicherheit getrennt werden. Denn sie ist lediglich ein sicherheitspolitisches Instrument unter vielen, das Staaten zur Verfügung steht. Jeder Streitkräfteeinsatz - auch derjenige im Ausland - wirkt immer auch auf die eigene Bevölkerung; sei dies, indem das subjektive Sicherheitsempfinden verbessert resp. verschlechtert wird oder indem die populäre Unterstützung des Streitkräfteeinsatzes Schwankungen unterliegt.
Wenn ich von einem Armeeeinsatz spreche, so gehe ich von der Annahme aus, dass dieser aufgrund einer Lagebeurteilung der strategischer Ebene entsprungen ist und dort entschieden wurde, dass die spezifischen Stärken von Streitkräften (wie zum Beispiel integrale Führungsfähigkeit, Durchhaltefähigkeit, Masse und Nachhaltigkeit, Risikobereitschaft oder Eskalationsdominanz durch Fähigkeit zum Einsatz schwerer Mittel) notwendig sind, um einer Situation die Handlungsfreiheit zu wahren oder wieder zurück zu gewinnen. Dieser Streitkräfteeinsatz muss aber komplemtär zu allen anderen eingesetzten Mittel sein, damit dieser effektiv sein kann. Welche Mittel welchen subsidiär zukommen, muss Resultat einer operativen Planung sein! Denn es ist die operative Planung, welche die notwendige Klammer bildet, damit alle Aktionen sämtlicher zum Einsatz kommenden Mittel auf das strategische Ziel hin konzertiert ausgerichtet werden.
Die Komplexität eines möglichen Einsatzumfeldes im In- oder Ausland in Kooperation aller Gewaltbewältigungsinstrumente wächst: Neben dem klassischen Verbund der Teilstreitkräfte Land, Luft, See, gilt es die Sphären Weltall und Elektron (Information Warfare; siehe hierzu
http://www.military.ch/abegglen/papers/iw.pdf) miteinander im Einsatz in Einklang zu bringen. Dazu kommen noch weitere Mittel wie Medien, Nongovernmental Organisation (NGO), private und staatliche Hilfsorganisationen, internationale und zwischenstaatliche Organisationen, Polizei, Geheim- und Wehrdienste, private Militärorganisationen (PMO), transnational tätige Firmen,…die es im Einsatzumfeld im bestmöglichen Zusammenwirken für die Zielerreichung zu koordinieren gilt.

Die Schweizer Armee unterliegt der demokratischen Kontrolle: das ist unumstritten. Zudem durchdringt die Überzeugung, dass unsere Streitkräfte freiheitlich, demokratische Grundwerte zu verteidigen haben, ohne diese dabei gleichzeitig in irgendeiner Art und Weise zu verraten (z.B. durch unrechtmässige, unverhältnismässige Gewaltanwendung oder Missachtung des Kriegsvölkerrecht) Erziehung und Ausbildung unserer Soldaten und Kader.

Anonym hat gesagt…

Wie die Tätigkeiten der Armee organisiert werden, wenn sie einmal im Einsatz ist, dazu kann ich nichts sagen, ich bin ja nicht vom Fach.
Mich stört es, dass die Armee Polizeiaufgaben übernimmt (z.B. Botschaftsschutz). Wenn sie es trotzdem tut, dann nur, wenn es wirklich nicht anders geht. Das meinte ich mit subsidiär (ist vielleicht hier nicht das passende Wort).