Samstag, 6. Januar 2007

Die Kunst des Schweigens

Die Primärfunktion der Armee ist als Machtinstrument Gesetz und Ordnung, sowie die Interessen des Souveräns wenn nötig mit Waffengewalt durchzusetzen. Diese traditionelle Funktion im Inland in ordentlichen Lagen der Polizei abgetreten, bewahrt die Armee diese jedoch gegen aussen. Mit dem Ende des Kalten Krieges der äusseren, terrestrischen Bedrohung beraubt, glaubt sich die Schweizerische Armee nunmehr seit 11 Jahren in einer Sinnkrise. Die Armeereform XXI bringt indirekt über verschiedene streitige Punkte betreffend deren Ausgestaltung immer wieder eine Grundsatzfrage zu Tage: braucht die Schweiz eine Armee? Wenn ja, für welchen Zweck? Die Antwort auf diese essentielle Frage kristallisiert grundsätzlich zwei Lager heraus. Die Armeegegner, welche im heutigen Bedrohungsbild der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle das Verteidigungsbudget am liebsten in den Sozialbereich, in humanitäre Hilfe und eventuell in die innere Sicherheit umverteilt sähen, und die Armeebefürworter, die ihren Standpunkt vorbehaltlos durch die jüngsten Urnengänge vom Souverän legitimiert sehen. Die einen sehen jeweils im anderen Lager Landesverräter resp. die Ewiggestrigen, die geistig im Alpenreduit eingeigelt verharren.

(Berufs-)Offiziere, Armeereformer und Mainstreampolitiker verstecken sich in der Ausarbeitung von Ideen und Konzepten hinter dem Vorhang des vorweggenommenen Konsensdenkens. Dem erarbeiteten Produkt fehlt es dann nicht selten an intellektuellem Tiefgang. Denn es entstand nicht aus einem kontrovers geführten Diskurs heraus, einem geistigen Säbelkreuzen des Validierens resp. Falsifizierens von Theorien und Konzepten, vor dem Hintergrund sozioökonomischer Gegebenheiten im Spiegel von künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen im In- und Ausland, sondern alleine das angeblich "politisch Machbare", der vorweggenommene Konsens, wird präsentiert. Wie kommt es dazu, dass in einem Politikbereich, der doch jährlich mit ca. 5 Mia sFr. budgetiert wird - dessen volkswirtschaftlichen Gesamtkosten ein vielfaches beträgt - so farblos und intellektuell schal diskutiert wird? Wo ist heute der analoge Diskurs, der in den 50er und 60er Jahren zwischen Befürworter einer beweglichen und statischen Operationsführung ausgefochten wurde? Wo sind die (Berufs-)Offiziere und sicherheitspolitisch Interessierten, die durch öffentlichen Diskurs die Armee XXI zukunftsorientiert mitgestalten?

Die Militärakademie (MILAK) hat es in enger Zusammenarbeit mit der ETH Zürich geschafft, dass das militärwissenschaftliche Curriculum angehender Berufsoffiziere mit dem Bachelor einen international anerkannten akademischen Abschluss findet. Man könnte nun einerseits behaupten, dass den jungen Berufsoffizieren zu verzeihen sei, sich nicht auf das dünne Eis eines die Armee hinterfragenden Analytikers zu wagen, stehen diese ja noch am Anfang ihrer beruflichen Karriere. Zudem könnte man zu deren Verteidigung argumentieren, dass die nach drei Jahren Studium frisch ausgebildeten Berufsoffiziere sich vorerst ihrer ersten Arbeitsstellen zu widmen haben und Grundsatzfragen erfahrenen Berufskameraden zu überlassen haben. Andererseits könnte man der MILAK und ETHZ vorwerfen, sie vermögen nicht, selbständig analysierende Offiziere heranzuziehen, sondern formen karrierebewusste Anpasser, welche den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Wäre dies der Fall, so täte die MILAK gut daran, einen Berufsethos zu definieren und diesem nachzuleben. Ältere Berufskameraden, welche nun ja eher am Ende ihrer Militärkarriere entgegenblicken oder gar die höchsten Ränge erreicht haben, können nicht entschuldigt werden, sie stünden sich ihrer Laufbahn selbst im Wege. Doch eben diese lassen sich von höchster politischer Instanz, im Crescendo von Appellen an Loyalität und militärischen Disziplin mit der Begründung das Primat der Politik gälte und Konflikte seien auf dem Dienstwege intern auszutragen, einen Maulkorb verpassen. Geschätzte Offiziere, dies ist ein völlig verzerrtes Bild des Primat der Politik. Das Primat der Politik mag umfassend sein, sobald die Armee im Echteinsatz steht, nie aber wenn es darum geht, deren künftige Ausgestaltung intellektuell zu durchleuchten. Es ist ja auch nicht so, dass der Bundesrat per Dekret Naturwissenschaftler verbietet, ihre Forschungsergebnisse in den gängigen wissenschaftlichen Journalen zu veröffentlichen - im Gegenteil, dies ist ein entscheidender Bestandteil deren wissenschaftlichen Wirkens. Wieso sollte dies im Wissenschaftsbereich "Militär" anders sein? Forschung und Entwicklung ist ein nicht abreissender Prozess, der auch in der Militärwissenschaft zwingend ist.

Geschätzte (Berufs-)Offiziere, dies ist ein Aufruf zum selbständigen Reflektieren in dem Bereich, in welchem wir freiwillig Verantwortung übernommen haben. Es gilt in sich zu gehen und darüber nachzusinnen, weshalb wir Offiziere geworden sind. Kommen wir zum Schluss, dass es uns daran liegt, einen zusätzlichen Dienst am Lande zu leisten, um Schweizerische Interessen im gegebenen Fall auch mit Waffengewalt durchzusetzen, wenn dies der Souverän von uns abverlangt, so haben wir die Armee als ein machtpolitisches Instrument in der Hand der Regierung anerkannt. Weiter gilt es abzuschätzen, mittels welcher Strategieformulierung und wo dieses machtpolitische Instrument im Zuge der Globalisierung und interdependenter Vernetzung Schweizerischer Interessen einzusetzen Sinn macht. Gewinnen wir die Einsicht, dass aussenpolitische Entscheide auch innenpolitisch wirken (und umgekehrt) und kommen wir zum Schluss, dass sicherheitspolitische Fragen schwergewichtig in Kooperation mit der Völkergemeinschaft zu lösen seien, dann erkennt man tatsächlich wirkungsvolle Tätigkeitsfelder für unsere Streitkräfte.

Es liegt an uns Offiziere dafür einzustehen, dass die Armee nicht ein militärischer Trachtenverein alpenländischer Prägung ist, sondern ein für unsere Regierung im In- und Ausland einzusetzendes Instrument.


Das Argument, die Armee erfülle ihre Daseinsberechtigung als gesellschaftlich integrierender Faktor - sozusagen als gesellschaftliche Klammer - ist nicht zulässig, solange kaum noch 50% der Wehrpflichtigen dieser Pflicht nachkommen und solange in der Schweiz niedergelassenen Ausländern der Wehrdienst verweigert wird. Damit wird vielmehr der Ausgrenzug als der sozialen Integration Vorschub geleistet.

Die Funktion der Dissuasion ist im heutigen Bedrohungsumfeld zudem doch eher mythisch verworren und fraglich. Denn Dissuasion erzielt nur derjenige, welcher seinem Willen durch eine nachvollziehbare Doktrinformulierung, durch ein damit kohärentes Training, sowie durch Tests oder Einsatz Glauben verschafft.

Der Standpunkt, es brauche ein Armee quasi als Versicherung, die als Kernaufgabe die Verteidigung ab Landesgrenze trainiert, denn es sei nicht einzuschätzen, welcher terrestrische Bedrohung sich die Schweiz in ferner Zukunft gegenübergestellt sähe, ist ebensowenig haltbar. Die Armee ist ein zu teueres Instrument, um a) ungenutzt brach zu liegen; b) lediglich als weitere Möglichkeit des "Networkings" betrachtet und genutzt zu werden oder c) als überdimensionierter Spielplatz für ergraute Jungs zu dienen.

Politiker und Offiziere, halten wir uns einen Spiegel vor: Aus welchen Beweggründen handeln wir? Welche sind unsere urtümlichen, moralischen Handlungsrichtlinien? Haben sich diese im Laufe der Zeit und Karriere verändert? Wenn ja, weshalb? Stimmt unsere Handlungsmotivation noch mit unseren Idealen überein oder handeln wir aus selbsterhaltendem Zweckpragmatismus heraus? Nicht das Primat der Politik ist allumfassend, sondern das Primat der Ethik, dem sich in einer postmodernen Gesellschaft auch die Politik jederzeit unterzuordnen hat.

Die Armee abzuschaffen, schränkte die politische Handlungsfreiheit unserer Regierung unverhältnismässige ein. Wir entledigten uns damit freiwillig einem machtpolitischen Instrument, das durchaus solidarisch zu Gunsten der Völkergemeinschaft und damit zur Förderung unserer Sicherheitsinteressen wirksam eingesetzt werden könnte.

Die Durchdiener in der Armee XXI bieten die einmalige Chance, die Besten aus dem hervorragenden Rekrutierungspotential der Wehrpflicht zu selektieren und damit Verbände von enthusiastischen Freiwilligen zu formen, die durch hartes, aufbauendes Training Vertrauen in ihre Vorgesetzten und in ihre eigene Leistungsfähigkeit finden. Soldaten, die durch Einsicht und Gruppenkohäsion diszipliniert ihr Handeln den Einsatzgrundsätzen der Verhältnismässigkeit und Rechtmässigkeit unterzuordnen wissen. Mit den Durchdienern können Verbände zusammengeschweisst werden, die durch realeinsatzorientiertes Training physisch und psychisch so einsatzspezifisch vorbereitet sein werden, dass sie echte, militärische Einsätze unter widrigsten Umständen zu bewältigen wissen. Dadurch könnten die Durchdiener zu einem für die Politik wahrhaftigen Instrument einer ausgreifenden Sicherheitspolitik werden. Geschätzte Offiziere, dies ist nicht nur denkbar, sondern machbar und schliesslich der Zweck einer Armee.

Januar 2003; veröffentlicht in zwei Teilen ASMZ Nr 4 und 6

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