Sonntag, 7. Januar 2007

Bilder des Krieges

Wie beeinflusst die Darstellung von Krieg unsere Vorstellung, was Krieg ist, welchen Rollenmodellen nachzueifern und wie der Soldat darauf vorzubereiten ist?



Paul[1] entwirft sieben wiederkehrende Bildmuster, wie Krieg dargestellt wird, die sich einem konventionellen, ideologischen und ästhetischen Ordnungssystem unterziehen. Jedem Bildmuster stellt er eine kontrastpublizistische Verstärkung anbei. Diese soll die Abgrenzung des "Wir" in Bezug zu den "Anderen", also eine Ingroup-Outgroup – Differenzierung, unterstreichen. Die zugrunde liegende These lautet, dass bestimmte Bildmuster des Krieges sich als archetypisch ins kollektive Gedächtnis übertragen. Einzelne Bilder können sogar bestimmte Kriege versinnbildlichen.

Moderne Bildmedien, so Pauls These, versuchen das katastrophisch antizivilisatorische Ereignis des Krieges zu einem zivilisatorischen Akt umzuformen, indem ihm eine Ordnungsstruktur verpasst wird.[2] Anbei sollen diese sieben wiederkehrenden Bildmuster in der Darstellung von Krieg als Überblick dargestellt werden.

1. Krieg als Bastion männlicher Bewährung und Verwirklichung;
2. Krieg als Betätigungsfeld des motivierten, professionellen, gut ausgebildeten Facharbeiters "Soldat";
3. Krieg als moderner Präzisionskrieg;
4. Krieg als Darstellung bürgerlicher Ordnungs-, Karitas- und Sauberkeitsvorstellung;
5. Krieg als ein mit höherem Sinn ausgestatteter Erlebnisurlaub;
6. Krieg als gigantische Sportveranstaltung und sportives Ereignis;
7. Krieg als Darstellung des eigenen, heroischen Opfermutes.
Sieben wiederkehrende Bildmuster mit einem konventionellen, ideologischen und ästhetischen Ordnungssystems nach Paul (2004).


Im ersten Bildmuster wird Krieg als Bastion männlicher Bewährung und Verwirklichung dargestellt. Bilder in denen Mut, Härte, Kaltblütigkeit, Tatendrang und das Zurückbinden eigener Interessen zugunsten der Primärgruppe als Eigenschaften positiv ins Licht gerückt werden. Als kontrastpublizistische Verstärkung wird die Gegenseite dagegen als hasenfüssig, hinterhältig, eigennützig, verweichlicht und effeminiert beschrieben. Der Gegner ist nicht Mann. Ihm wird sogar das Menschsein abgesprochen (Dehumanisierung). Er ist ein "Skinny", ein "Gook", ein "Kraut", eine Kakerlake und kann wie Ungeziefer emotionslos getilgt werden. Diese Indoktrinierung ist ein zweischneidiges Schwert. Denn die eigene Leistung wird dadurch ebenfalls herabgesetzt, weil es wohl nicht schwierig sein kann, gegen verweichlichte Angsthasen zu siegen. Der Erkenntnisschock wird lähmende Wirkung haben, wenn sich herausstellt, dass der Gegner tapfer, gerissen, todesmutig und opferbereit uns die Stirn bietet. Oder wenn in seinem Sterben, in seiner Agonie, in seinem roten, warmen Blut, in seinem Gedärme uns doch sein Menschsein offenbart - ein Menschsein mit gleichen Wünschen, Hoffnungen und Ängsten.

vgl. hierzu auch: General says marines saw Iraqi deaths as routine


Im zweiten Bildmuster wird der eigene Soldat als hoch motivierter, professioneller, gut ausgebildeter Facharbeiter präsentiert. Er geht in den Einsatz, um seinen Job zu verrichten. Dinge wie Politik, Gründe, wofür gekämpft werde, liegen ausserhalb der Sphäre seiner Fachkompetenz und werden anderen zur Beurteilung überlassen. Als verstärkender Kontrast hierzu wird der Gegner als undisziplinierter Haufen gekaufter Söldner oder als fanatische, einer Gehirnwäsche unterzogene Selbstmordattentäter karikiert.


Im dritten Bildmuster wird Krieg als moderner Präzisionskrieg stilisiert. Waffentechnologie wird vergötzt: Kampfjets bei Start und Landung, dahin breschende Panzer, tieffliegende und schwebende Helikopter oder Raketen beim Abschuss werden gezeigt. Krieg wird nur aus der Perspektive des Agierenden und nicht des Erleidenden gezeigt. Man sieht durch eine in der Waffe angebrachte Kamera, wie eine Bombe durch ein Fenster in ein Gebäude einfliegt. Auf einem Bildschirm erkennt man, wie Ziele punktgenau, in der charakteristisch grünlich schimmernden Darstellung von Infrarotkameras, bekämpft werden. "Chirurgische" Schläge werden auf "militärische Ziele" geführt. So wird das Todbringende mit etwas Heilsamen, mit einem medizinischen Eingriff, assoziiert. Krieg wird aseptisch, ohne Menschen, ohne zerfetzte Leichenteile, ohne karbonisierte Überreste, ohne Blut und Leid. Der allgegenwärtige, Ekel erregende Geruch von Kordit, Fäkalien, verbranntem Fleisch, geronnenes Blut, Innereien und Erbrochenem wird ausgeblendet. Die Erfassung gegnerischer Greueltaten wie Köpfungen, Leichenschändungen, Vergewaltigungen, Mutilation und Abschneiden von Genitalien und Brüste, … und indiskriminierenden Abschlachtens (z.B. mit Macheten) dient hier als kontrastpublizistische Verstärkung.


Im vierten wiederkehrenden Bildmuster wird Krieg entsprechend der bürgerlichen Ordnungs-, Karitas- und Sauberkeitsvorstellung dargestellt. So wird suggeriert, dass militärische Operationen vorausschauend geplant, nichts dem Zufall überlassen und einem Schweizer Uhrwerk gleich ablaufen würden. Verwundete werden von adrett gekleideten Pflegerinnen in klinisch sauberen Hospitälern liebevoll umsorgt. Soldaten werden bei kulturellen Tätigkeiten gezeigt: beim Besuch von Gottesdiensten, beim Briefeschreiben und Lesen, beim Musizieren und beim Sport und Spiel. Männliche Kameraderie verschworener Waffenbrüder wird zu einem Leitthema. Auch der Unterhalt von Waffe und Mensch wird in Szene gerückt: Soldaten beim Rasieren und Waschen oder bei der Reinigung von Waffen und Gerät. Der Gegner wird dagegen als verwahrlost, verdreckt und von Kameraden im Stich gelassen präsentiert. Das Vorgehen der Gegenseite wird als zusammenhanglose, unkoordinierte Terroraktionen einzelner verwirrter, menschenlebenverachtender Selbstmordattentäter resp. extremistischer Banden dargestellt.


Ein fünftes Bildmuster ist die Darstellung von Krieg als ein mit höherem Sinn ausgestatteter Erlebnisurlaub. Intakte, pittoreske Landschaften, das Exotische, fremde Völker und Kulturen dienen als Kulisse für wohlwollende, rettende militärische Intervention. Soldaten werden als Touristen mit Kameras auf Sightseeingtour abgelichtet. Der Gegner verfolgt, so in der kontrastpublizistischen Darstellung, eine Strategie der verbrannten Erde. Er hinterläßt eine Spur der Zerstörung und Verwüstung, ja wird gar zum Ökoterroristen.


Krieg als gigantische Sportveranstaltung und sportives Ereignis. Dies ist das sechste wiederkehrende Bildmuster. Soldaten stählern im Krafttraining ihre Körper, härten sich in der Vorbereitung ab und zelebrieren Teamgeist und Fairness mit Mannschaftsspielen wie Fussball, Rugby, Football oder Basketball. So wie sich bei Live-Reportagen im Sport ein militärisches Glossar eingebürgert hat, so wird auch Krieg immer stärker zum Live-Spektakel. Eingebettete Journalisten berichten in Echtzeit, ohne die notwendige Zeit zur Reflexion, von der Front. Soldaten werden gefilmt, wie sie eine Panzerabwehrlenkwaffe auf ein Gebäude abfeuern und die Fäuste bei einem Treffer ballen und jubelnd die Arme in die Luft recken. Jawohl! hit!, score!; maximale Punktzahl im Spiel! Die wachsende Entertainisierung des Krieges bedarf entsprechend einer unterhaltenden Dramaturgie: von einer verzweifelten Underdog-Situation zum Sieg des Guten über das Böse. Und schliesslich das Zelebrieren des Starken über den Unterlegenen. Als Kontrast hierzu wird ein Bild vom Gegner geschaffen, das diesen als einen unfairen, keine Spielregeln achtenden Einzelkämpfer skizziert. Der Gegner ist nur auf individueller Bereicherung bedacht. Er plündert, brandschatzt und vergewaltigt. Plünderung, Brandschatzung und Vergewaltigung dienen aber nicht nur der Befriedigung seiner niedrigen Triebe, sondern wird systematisch zur Terrorisierung angewendet.


Das siebente wiederkehrende Bildmuster ist die Darstellung des eigenen, heroischen Opfermutes. Dieser Opfermut wird mittels Symbolen und so verstärkt auf der emotionalen Ebene transportiert: Feldgottesdienst, ein Helm aufgesetzt auf einem mit dem Lauf in den Boden gerammten Sturmgewehr, Grabsteine, Nationalflagge, Ehrensalute, Fahne auf Halbmast, aufgebarte Särge; all dieses wird als Sinnbild für den eigenen Opfermut verwendet. Erschütternde Zermalmungsbilder von Kriegskrüppel oder gar eigene Leichen werden ausgeblendet. Anders dagegen verhält es sich bei der Darstellung der gegnerischen Verluste. Tote werden dort, wo sie gefallen sind, auf Bildern festgehalten und der Zustand ihrer Verstümmelung und Verwesung abgelichtet.


Der Mensch versucht im chaotischen Spektakel Krieg Sinn zu finden und ordnet seine Eindrücke nach den schon in ihm übergegangen Bildmustern. Bewusst oder unbewusst sucht er nach denjenigen Bildern, die er wieder zu erkennen scheint und die in seiner Vorstellung "Krieg" repräsentieren. Diese Bildmuster werden von Generation zu Generation überliefert und gehen von einem Medium ins andere über – sei es über Erzählungen, Literatur (Memoiren, Fiktion und Sachbücher), Gemälde, Photographien, Zeitungsberichte, Fernsehen, Kino und Videospiele. Die über diesen Mediencocktail ins kollektive Gedächtnis eingebrannten Bilder mutieren zu einer mentalen Wirklichkeit, wo sich Fiktion, Phantasie und Realität zu einer perzeptierten Wahrheit vermischen und so die eigene Wahrnehmung verzerren. Denn diese Bildmuster prägen unsere Vorstellung nachhaltig, nicht nur wie Krieg, sondern auch wie militärische Erziehung und Ausbildung sein sollten.
Insbesondere das Medium Film, das bewegte Farbbilder mit Ton kombiniert, birgt eine gewaltige emotionale Überzeugungskraft. Dramaturgie, digitale Tricktechnik, Musik, schnelle Schnittfolgen, die den zur Reflexion notwendigen Zeitraum rauben, Kameraführung und Geräuschkulisse, die an eine Live-Übertragung eines Berichterstatters erinnern, sind von enormer Authentizitätswirkung. So verwischen sich für den Betrachter die Grenzen von real Geschehenem zur Fiktion vollständig. Vorgespielte Rollenmodelle werden unkritisch übernommen. Filmausschnitte werden nachinszeniert, nicht nur im militärischen Trainingsalltag in Kasernen und auf dem Übungsgelände, sondern selbst im Einsatz. So halten Begrüssungsszenen, Verhaltensmuster und Lehrmethoden eines Drill-Sergeants aus den Filmen "Full Metal Jacket" oder "GI Jane" Einzug in Ausbildung und Initiationsritualen an Schulen der Schweizer Armee. Übungsanlagen, die das Durchsuchen von Gelände nach fiktiv abgeschossenen Piloten umfassen, muten an "Behind Enemy Lines", Orientierungslosmachen mittels über den Kopf gestülpten Jutesäcken und Verhörübungen erinnern an Bilder von irakischen Gefangenen und Folterszenen in Abu Ghraib, die 2004 um die Welt gingen.[3] Diese Parallelen lassen sich wohl beliebig ausweiten, von Erinnerungsphotos, worauf Züge das Filmplakat von "Band of Brothers" nachstellen, bis hin zu Gesten wie das Klopfen des voll abgespitzten Magazins am Helm vor dem Einsetzen ins Sturmgewehr.
Wie grotesk diese Vorfälle auch erscheinen mögen, die Grenze der Verantwortungslosigkeit wird dort überschritten, wo diese Ereignisse vom professionellen Korps stillschweigend geduldet oder gar mitinitiiert werden. Die Erscheinung der Nachinszenierung von Gesehenem ist sicherlich nicht ein Problem, das sich nur auf die Schweizer Armee eingrenzen lässt, sondern ist ein in allen Armeen weit verbreitetes Phänomen. Es sollte thematisiert anstatt einfach unter den Teppich gekehrt werden.[4] Denn spätestens im Einsatz trifft die eigene Vorstellungskraft auf die harte, unverhüllte Wirklichkeit. Je grösser die Diskrepanz zwischen der eigenen, im gegebenen Fall vielleicht sogar romantisch verklärten Phantasie, und der Einsatzrealität ist, desto grösser werden Erkenntnisschock und Desillusionierung der Kämpfer im Laufe des Einsatzes sein. Und je grösser Erkenntnisschock und Desillusionierung sind, desto rascher und höher wird die Rate der eigenen psychischen Ausfälle sein. Dies ist schliesslich der Grund, weshalb das Phänomen der unreflektierten Nachinszenierung in der Grund- und Führungsausbildung thematisiert werden muss.
Nicht nur Soldaten, sondern auch Journalisten unterliegen der Versuchung und reinszenieren durch ihre Sujetwahl oder gar mittels nachgestellten oder arrangierten Szenen Kriegsbilder. Redaktoren verfallen ebenfalls diesem Phänomen, wenn sie Texte und Bilder in vorauseilender Selbstzensur so redigieren, dass sie – ihrer Meinung nach – für den Konsumenten erträglich werden.


[1] Paul, Gerhard (2004), Bilder des Krieges - Krieg der Bilder: Die Visualisierung des modernen Krieges (Schweiz: Verlag Neue Zürcher Zeitung).
[2] Paul (2004), S. 11
[3] Fahmy, M. (2005), Griff zur Nebelpetarde. Facts, 12.05.2005, S. 46-49.
Fahmy, M., Rigendinger, B. (2005), Achtung, fertig, Chaos! Facts, 28.04.2005, S. 34-43.
[4] vgl. hierzu Baumann, Dieter (2005), Menschenwürde und Militär. ASMZ, Nr. 2, S. 13-14.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Lieber Christoph

Ich gebe zu ich habe es noch gelesen, aber ich werde es noch nachholen. Ich wollte Dir aber vorerst schon mal für Deine grosse Arbeitsleistung danken.
Patrick