Donnerstag, 8. Mai 2014

Kahlschlag von oben

Philipp Gut, Weltwoche Nr. 19/2014.

Die Schweizer Armee kann Land und Bevölkerung nicht mehr verteidigen. Es fehlt an Truppen und Waffen. Jetzt wird auch noch die militärische Infrastruktur zerstört. Die Schwäche ist gewollt: Bundesrat und Militärführung haben die Armee systematisch von oben demontiert.

Als Mitte Februar ein äthiopisches Passagierflugzeug in Schweizer Hoheitsgebiet entführt wurde, blieben die Kampfjets der Luftwaffe am Boden. Der Grund: Sie fliegen nur zu Bürozeiten. Die Episode sorgte weitherum für Aufsehen – und für Spott. Nicht nur im Inland, sondern auch und vor allem im Ausland. «Die Schweiz erobern? Versuchen Sie es vor acht oder nach fünf», titelte trefflich die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Der Vorfall wirft – kurz vor der Abstimmung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge vom schwedischen Typ Gripen – ein Schlaglicht auf den Zustand der Schweizer Armee. Tatsache ist: Die Lage ist dramatischer, als die spöttischen Kommentare über die Bürozeiten-Krieger ahnen lassen. Die Armee ist ihrer Kernaufgabe nicht gewachsen: Sie kann Land und Bevölkerung nicht mehr verteidigen.

Das gibt selbst der verantwortliche Bundesrat und Wehrminister Ueli Maurer (SVP) zu. Den Verfassungsauftrag, die Bevölkerung vor einem feindlichen Angriff zu schützen, könne die ­Armee nicht mehr wahrnehmen, sagte Maurer gegenüber der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift. Und in der Weltwoche (Nr. 12/14) sagte der Verteidigungsminister kürzlich, erst in einigen Jahren sei die Armee wieder zu «zwei Dritteln» einsatzfähig. Mit andern Worten: Heute und bis auf weiteres ist sie nicht einmal das. Wir unterhalten eine Armee, auf die im Ernstfall – und darauf kommt es an – kein Verlass wäre.

Durchschlagende Wirkungslosigkeit

Die akute Schwäche der Schweizer Armee ist nicht unglücklichen äusseren Umständen zuzuschreiben – sie ist gewollt. Bundesrat, ­Armeeführung und Parlament haben sie ­bewusst und mutwillig herbeigeführt. Innert weniger Jahre hat sich der Zustand der einst stolzen und ringsum anerkannten Streitkraft zu durchschlagender Wirkungslosigkeit verschlechtert. Die Selbstdemontage hält bis ­heute an.

Die grosse Zäsur markieren das Ende des Kalten Kriegs und der Berliner Mauerfall von 1989. Im Zweiten Weltkrieg und in den Jahrzehnten danach verdiente sich die Schweizer Armee den Respekt des Auslands – und zwar auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Der Nationale Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten bezeichnete die Schweiz 1951 in einem geheimen Bericht als das Land mit der «grössten Verteidigungsfähigkeit» in Europa. Der Wehrwille sei hervorragend («formidable»). Zu ähnlichen Schlüssen kam später auch die militärische Aufklärung der Nationalen Volks­armee der kommunistischen DDR. Ein Angriff auf die Schweiz würde «starke Kräfte» binden und «hohe Verluste» verursachen. Es gebe «keinen Grund zur Annahme, dass die Schweiz nicht entsprechend den Planungen für den Verteidigungsfall und Besetzungsfall handeln würde». Daher sei «ein Angriff auf die Schweiz rational nicht nachzuvollziehen».

Hoffnung auf den ewigen Frieden

Bis zur Jahrhundertwende hatte die Schweiz im Urteil anderer Staaten eine der schlagkräftigsten und bestausgerüsteten Armeen des Kontinents. Einige Besonderheiten verschafften ihr Vorteile auch gegenüber nominell überlegenen Angreifern. Sie verfügte über starke konventionelle Verteidigungsmittel und verstärkte deren Nutzen durch strategisch optimale Geländeausnützung. Das Milizsystem garantierte im Ernstfall eine beeindruckende Truppenstärke – bis 1995 waren es gegen 800 000 Mann.

Auch die permanente Einsatzfähigkeit ­fusste kongenial auf dem Milizgedanken: Jeder Soldat hatte Uniform, Gewehr und Munition zu Hause (Letztere, um sich bei Bedarf bis zum Ort des Einrückens durchzukämpfen). Und jeder Soldat wusste, wohin er bei einer Mobilmachung gehen musste: Er war einer Einheit zugeteilt, die wiederum über eigenes Material verfügte, das die Kompanien in Eigenverantwortung pflegten und zu dem nur sie Zugriff hatten. Dank diesem dezentralen System – Fachleute sprechen vom «Holprinzip» – war die gesamte Schweizer Armee innert 48 Stunden marschbereit. Davon ist sie heute – bei weit geringerer Truppenstärke – meilenweit entfernt.

Schuld daran ist eine Reihe von Reformen, die seit Mitte der 1990er Jahre von ganz oben eingeleitet wurden.

Was die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) verpasste, besorgten Regierung und Armeespitze ironischerweise selber mit Erfolg: Sie bauten die Schweizer Armee bis zur Einsatzunfähigkeit ab.

Nach dem unerwarteten Ende des Kalten Kriegs brach in Europa eine kollektive Euphorie aus, die Hoffnungen auf ewigen Frieden nährte und die auch den Bundesrat und die Schweizer Armeeführung erfasste. Der Ernstfall, für den Generationen geprobt hatten, spielte keine ernsthafte Rolle mehr.

Die ideologischen Grundlagen dieser Selbstdemontage einer wehrhaften Schweiz finden auf ganzen 21 Seiten Platz. Festgehalten sind sie im Bericht der Studienkommission für strategische Fragen, die der Diplomat ­Edouard Brunner präsidierte (darum spricht man auch vom Brunner-Bericht, der Öffentlichkeit am 26. Februar 1998 vorgelegt). Mit in der Kommission sassen so prominente Zeitgenossen wie der spätere Deutsche-Bank-Chef Joe Ackermann oder Christoph Blocher, der als Einziger Gegensteuer gab und öffentlich Kritik am Brunner-Bericht übte.

Dieser atmet den Geist, der in den neunziger Jahren durch Bundesbern wehte. Grössere Kriege in der Welt schloss die Brunner-Kommission kategorisch aus; die «immer engere Integration der Völker Europas» schaffe einen kontinentalen Friedensraum, in dem das Verteidigungskonzept der Schweiz überholt und unnötig geworden sei. Stattdessen empfahl die Kommission die Anbindung: Die Schweiz solle der EU und der Nato beitreten. Die bewaffnete Neutralität, an der über 90 Prozent der Bürger festhielten, sei nur noch ein Hindernis. «Wir haben uns, neben der Teilnahme an der Partnerschaft für den ­Frieden, auch in unseren Strukturen, unserer Doktrin und unserer Rüstung bereits der Nato angenähert», heisst es im Bericht.

Verteidigen? Nur noch in der Theorie

Das genüge allerdings nicht. «Die Kommis­sion empfiehlt, dass unser Land in seinem wohlverstandenen Eigeninteresse seine Zurückhaltung gegenüber internationalen Engagements ablegt.» Internationalismus pur: Die Schweizer Armee solle im Ausland aktiv werden («Schweizer Solidaritätskorps»). Eine autonome Verteidigung hielten die Experten hingegen für überholt. Das Konzept der Gesamtverteidigung, das auf die Selbstbehauptung des souveränen Landes zielte, entspreche «nicht mehr der Bedrohungslage». Und falls der unwahrscheinliche Fall doch eintrete, gebe es eine Vorwarnzeit von mindestens zehn Jahren («ein Jahrzehnt oder mehr»). Noch in seiner Lagebeurteilung 2013 hält der Bundesrat an dieser «Vorwarnzeit von 10 Jahren» fest.

So optimistisch das heute in Zeiten des ­Ukraine-Konflikts, der Krise der EU und angesichts der zahllosen Kriege in der ganzen Welt klingt – der Brunner-Bericht blieb nicht unverbindliches zeitgeistiges Gedankenspiel. Auf seiner Basis wurde die Schweizer Armee in den folgenden Jahren auf Nato-Tauglichkeit umgepolt und in mehreren, beschönigend «Reform», «Entwicklungsschritt» oder «Weiterentwicklung» genannten Abbauprogrammen in ihrer Potenz beschnitten.

Auch die grossen Sicherheitspolitischen ­Berichte des Bundesrats, die in den Jahren 2000 und 2010 erschienen, übernahmen die neue Leitidee, gemäss der die Schweizer Armee die Schweiz und ihre Bewohner gar nicht mehr wirklich zu schützen brauche. Man unterschied Praxis und Theorie: Es genüge, wenn die Armee wisse, wie sie nach einer «längeren Vorbereitungsphase» wieder verteidigen ­könne, schreibt die Regierung im Sicherheitspolitischen Bericht 2010.
Man reibt sich die Augen. Sagt der Bundesrat den Polizisten, die einen Raubüberfall ­verhindern wollen, es genüge, wenn sie wüssten, wo die nächstgelegene Pistolenfabrik steht? Was komisch bis absurd klingt, ist ­offizielle Doktrin geworden: An die Stelle der (realen) «Verteidigungsfähigkeit» ist die (theoretische) «Verteidigungskompetenz» getreten. In Armeekreisen spricht man auch vom «Pouvoir-faire» im Gegensatz zum «Savoir-faire». Im Klartext: Die Schweizer Armee kann nicht, was sie vordringlich tun müsste (nämlich die Unabhängigkeit und Freiheit des Landes und seiner Bewohner verteidigen). Aber sie weiss, wie sie tun müsste, um zu können, was sie nicht kann. Dies wäre dann allerdings – immer gemäss offizieller Doktrin – nur nach einem politischen Richtungsentscheid sowie einer Vorbereitungszeit von mehreren Jahren möglich (im Militärjargon «Aufwuchs» genannt).

Kennzeichen aller Reformen war der Abbau – an Mann, an Waffen, an Munition, an Infrastruktur. Einige Zahlen: Noch 1990 umfasste die Schweizer Armee einen Sollbestand von 625 000 Mann (effektiv waren es sogar 742 000; siehe Grafik, l.). Mit der Armee 95 wurde der ­Sollbestand auf 400 000 reduziert, mit der Armee XXI auf 200 000, und mit der laufenden «Weiterentwicklung der Armee» (WEA) sollen es ab 2016 nur noch 100 000 sein. Das entspricht einer Reduktion um mehr als das Sechsfache innerhalb von zwei Jahrzehnten.

Der massivste Abbau wurde mit der Armee XXI eingeleitet, die direkt auf dem Brunner-Bericht und dem Sicherheitspolitischen Bericht 2000 fusste. Bundesrat Adolf Ogi (SVP) und Nachfolger Samuel Schmid (SVP, später BDP) setzten um. Die beiden Magistraten aus dem Kanton Bern strichen die Armee nicht nur personell, sondern auch bezüglich Rüstung und Ausrüstung bis zur Unkenntlichkeit ­zusammen. Kampfpanzer, Panzerhaubitzen, Fliegerabwehr-Lenkwaffen, mobile Artillerie und Kampfjets: Bei allen zentralen Waffensystemen wurden die Bestände um ein Mehr­faches reduziert.

Bundesrat bricht Versprechen

Im Hinblick auf die bevorstehende Gripen-­Abstimmung lohnt sich eine genauere Betrachtung der Luftwaffe. Noch Anfang der neunziger Jahre besass diese rund 300 Kampf­flugzeuge (siehe Grafik Seite 25, l.). Im Jahr 2002 wurden die Mirage-Aufklärungsjets ersatzlos ausser Dienst gestellt – womit die Fähigkeit zur Luftaufklärung verlorenging. Ab 2002 wurde auch die ursprünglich 110 Flugzeuge umfassende Flotte der Raumschutzjäger Tiger ersatzlos auf 54 Flugzeuge reduziert.
Die noch bestehenden Tiger sollen 2016 ausgemustert werden, unabhängig davon, ob der als sogenannter Tiger-Teilersatz vorgesehene Gripen in der Volksabstimmung vom 18. Mai durchkommt. Falls ja, besässe die Schweizer Luftwaffe mit den bestehenden F/A-18 zusammen dann 54 Flugzeuge. Bei einem Gripen-Nein wären es 22 Flugzeuge weniger, also ­lediglich noch 32. Im Vergleich mit den neunziger Jahren entspräche das einer Reduktion der Kampfjetflotte um beinahe den Faktor zehn. Experten gehen davon aus, dass sich mit einer solch dezimierten Luftwaffe (Flieger und Fliegerabwehr) der Luftraum nicht mehr verteidigen liesse.

Zudem: Auch der Schutz des unteren und mittleren Luftraums wurde weitgehend aufgegeben. Gemäss Berechnungen von Spezialisten kann heute nur noch ein Viertel der ursprünglichen Fläche abgedeckt werden. Ein Grossteil des Schweizer Territoriums bleibt ungeschützt. Angreifer herzlich willkommen.

Nun könnte man aus staatspolitischer Sicht einwenden, das Volk habe zumindest die folgenreiche Armee XXI an der Urne abgesegnet (2003). Dem ist tatsächlich so. Bloss versprach der Bundesrat damals etwas, was er nicht gehalten hat: Die Stimmbürger sagten ja zur ­Reform, weil die Regierung versicherte, die Schweizer Armee bleibe stark. Sie werde kleiner, aber effizienter und – dank moderner Ausrüstung und Bewaffnung – sogar noch schlagkräftiger. Eingetreten ist das Gegenteil. In den letzten Jahren ist kein einziges nennenswertes neues Waffensystem beschafft worden. Die Kampfkraft der Armee ist nicht gestiegen, sie hat weiter erheblich nachgelassen. Das Volk gab einer besseren Armee die Stimme. Bekommen hat es eine schlechtere, die nicht einmal mehr fähig ist, innert nützlicher Zeit zu mobilisieren und ihren Grundauftrag zu erfüllen.

Auch die Kosten spielten im Abstimmungskampf für die Armee XXI eine Rolle. Versprochen wurden Einsparungen durch den Abbau angeblich überflüssiger Waffen und unnötiger Infrastruktur. In Wirklichkeit hat sich das Preis-Leistungs-Verhältnis für den Bürger und Steuerzahler nicht verbessert. Zwar ist das ­Armeebudget, verglichen mit den Bundesausgaben, relativ gesunken (siehe Grafik, r.) – andere Bereiche wie das Soziale kosten heute ein Mehrfaches. Aber absolut beansprucht die ­dramatisch reduzierte Armee noch immer ungefähr gleich viel Geld wie die Armee 61, die ungleich grösser und kampfkräftiger war.

Der Abbau schreitet voran

Wie geht es weiter? Vor dem Hintergrund der ruinösen Schrumpfkur ist es schon als Fortschritt zu werten, wenn Verteidigungsmi­nister Ueli Maurer – aber passt dieses Wort überhaupt noch, wenn sich die Schweiz doch gar nicht mehr verteidigen will und kann? –, wenn der Chef des Verteidigungsdepartements (VBS) die klaffenden Lücken in der ­Deckung anspricht. Mit der Erneuerung der Luftwaffe wagt sich Maurer an einen ersten grösseren und notwendigen Schritt. Auch will er dafür sorgen, dass zumindest Teile der ­Armee ­wieder innert nützlicher Frist aufge­boten werden können.

Andere Punkte bleiben strittig. Armeechef ­André Blattmann sagt im Interview (nächste Seite), man strebe wieder dezentralere Strukturen der Mobilisierung an. Die Zentralisierung ­habe sich nicht bewährt. Das ist zweifellos ­richtig. Allerdings sieht das von Blattmann ­erwähnte sogenannte Stationierungskonzept weitere massive Abbauschritte vor, auch in den Regionen. Die umfassende Infrastruktur der Armee, die über Jahrzehnte zu einem engmaschigen und auf das Gelände abgestimmten Netz ausgebaut wurde, wird weiter verkleinert. Was wiederum negative Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit hat. Denn am stärksten reduziert wird ausgerechnet die sogenannte Einsatzinfrastruktur, die im Kriegsfall bedeutsam ist.

Ein Beispiel sind die Militärflugplätze. Ihre Anzahl soll von ursprünglich sechzehn auf ­lediglich drei (Emmen, Payerne, Meiringen) reduziert werden. Im Ernstfall sind mehrere Pisten in unterschiedlichen Landesgegenden gemäss Luftwaffenexperten überlebenswichtig. Je geringer deren Anzahl, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sie bereits in der Frühphase eines bewaffneten Konflikts durch einen gegnerischen Luftschlag ausgeschaltet werden. Doch selbst im Normalfall – und auch bei Anschaffung des Gripen – müsse befürchtet werden, dass die Luftwaffe ihre täglichen Aufgaben (Luftpolizeidienst, Luftraumüberwachung) bei bestimmten Wetterlagen mangels Ausweichflugplätzen nicht mehr erfüllen könne, so die zitierten Kritiker.

Darüber hinaus wird auch auf die gesamte Kampfinfrastruktur – von Festungsanlagen bis Panzersperren – «verzichtet», wie das VBS lapidar mitteilt. Damit gibt die Schweizer ­Armee einen ihrer stärksten Trümpfe aus der Hand, der ihre Abhaltewirkung glaubwürdig machte. Wohlgemerkt: Es geht nicht um den Erhalt eines Museums. Die alten Festungen aus dem Zweiten Weltkrieg sind längst liquidiert. Beseitigt werden jetzt auch die neuen Nachfolgeanlagen, die teilweise erst vor wenigen Jahren in Betrieb genommen worden sind und moderne, sogenannte selbstzielsuchende Munition verschiessen können.

Vom Kahlschlag bei der Infrastruktur betroffen ist weiter die Ausbildung (Waffen-, Schiess-, Übungsplätze), aber auch die Logistik. So soll von vier Militärspitälern nur noch eines übrigbleiben. Auf die Kosten wirkt sich diese erneute Grossliquidation nicht positiv aus, im Gegenteil. «Die Konzentration auf ­weniger Standorte verursacht initial einen ­Investitionsbedarf», schreibt das VBS. Ein­sparungen gibt es, wenn überhaupt, erst später. Alle diese Massnahmen sind nicht dazu ­angetan, das Vertrauen in den Wehrwillen der Schweizer Armee und ihrer politischen und militärischen Führung zu stärken.

Die Frage stellt sich: Wie passt das mit den ­Beteuerungen von VBS-Vorsteher Maurer und Armeechef Blattmann zusammen, die Einsatzfähigkeit der Armee wiederherzustellen? Die Antwort liegt beim Gesamtbundesrat und bei den verantwortlichen Strategen im Maurer-­Departement. Das erwähnte Stationierungskonzept, das zum Projekt «Weiterentwicklung der Armee» gehört, wurde durch den Sicherheitspolitischen Bericht 2010 angestossen und fusst immer noch auf den zuversichtlichen Friedens­prognosen der Nachwendezeit. Besonders die damalige Aussenministerin und EU-Beitrittsbefürworterin Micheline Calmy-Rey (SP) nahm Einfluss auf den Bericht. Verfasst haben diesen die gleichen Köpfe, die bereits früher den Abschied vom Verteidigungskonzept vorantrieben – hin zu internationaler «Sicherheit durch ­Kooperation». Spiritus Rector ist der Chef Sicherheitspolitik Christian Catrina, ein ehemaliger Lehrer und Soziologe, der sich auf Rüstungsbeschränkung und Abrüstung spezialisiert hat. Ein Glücksfall für jeden potenziellen Angreifer.

Eine wichtige Rolle beim Sicherheitspolitischen Bericht 2010 spielte ein weiterer Diplomat – was den wachsenden Einfluss des Aussendepartements auf die Sicherheitspolitik illustriert –: Botschafter Anton Thalmannn, der ­bereits federführend am Vorgängerbericht aus dem Jahr 2000 mitwirkte. Von Thalmann stammt der Satz, die Schweiz solle ihre Neutralität «sanft einschlafen» lassen. Der Botschafter hält Europa nach eigenem Bekunden für «ziemlich pazifiziert», was «wir der Europäischen Union zu verdanken» hätten. Die Schweiz brauche deshalb keine Verteidigungsarmee mehr, ­deren Kapazitäten seien abzubauen.

Die grossangelegte Ausserdienststellung der Infrastruktur (inklusive Flugplätze und Logistikzentren), die jetzt in Angriff genommen wird, passt ins Bild. Sie ist im Sicherheitspolitischen Bericht 2010 vorgespurt. «Auf die Kampfinfrastruktur kann darum verzichtet werden», heisst es dort wörtlich.

Auch personell ist der Tiefpunkt noch nicht erreicht. Nach Umsetzung der WEA (Weiterentwicklung der Armee, faktisch eher: weitere ­Abrüstung der Armee) beträgt der Sollbestand nur noch 100 000 Mann. Zur Verteidigung befähigt (Bodentruppen) sind davon bloss noch 20 000. Das sind nicht mehr, als ein mittleres Schweizer Fussballstadion fasst. Und diese Truppenstärke reicht kaum mehr, um das Territorium eines grösseren Kantons zu schützen, geschweige denn, es zu verteidigen. Allein für den Schutz des Flughafens Zürich über län­gere Zeit sind gemäss Schätzung nach der Übung «Aeroporto» im Jahr 2010 genauso ­viele Soldaten nötig. Mehr ist da nicht.

Fazit: Wer als Bürger und Steuerzahler davon ausgeht, er investiere mit seinem Geld für den Krisenfall in seine persönliche Sicherheit und die seiner Familie, sieht sich getäuscht. Die Schweizer Armee im Jahr 2014 ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie wurde vorsätzlich von oben geschwächt. Der Bundesrat hat die Stimmbürger vor Abstimmungen sogar mit falschen Versprechungen in trügerische Sicherheit gelullt. Am Ende ist die Rechnung einfach: Wer die Schweiz als unabhängigen Staat erhalten will, setzt sich für eine leistungsfä­hige Verteidigungsarmee ein. Wer die unabhängige und neutrale Schweiz überwinden will, braucht auch keine Armee. Massgebende strategische Vordenker in Bundesbern gehören ­erklärtermassen zur zweiten Gruppe.

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