Montag, 5. Mai 2014

Volksabstimmung über das Gripenfondsgesetz

Ein Entwicklungsprojekt ohne Abhalte-Wirkung

von Beni Gafner, Bern (BaZ, 05.05.2014)


Hypothetische Frage: Welchen Befehl erteilt Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) der Armee am Montag nach einer verlorenen Gripen-­Abstimmung? Wird er «Helm ab zum Gebet!» befehlen? Oder gar «Fahnen einrollen»? Eigentlich wäre genau dies im eher über­raschenden Fall eines Volks-Neins zu erwarten.

Denn die Ablehnung des ­Gripenfondsgesetzes am 18. Mai bedeutete Maurers jüngsten Aussagen zufolge «nicht nur ein Schuss ins Knie, sondern ebenso ein Stich ins Herz der Schweiz». Maurer stilisiert den Gripen hoch zur Existenzfrage von Armee und Land. Stirbt bei einem Nein beides? Natürlich nicht. Denn die Gripen-Abstimmung entspricht keineswegs einem systemrelevanten Plebiszit. 

Es geht um den Kauf einer spezifischen Waffenplattform, die, zugegebenermassen, prestigeträchtiger ist als der Kauf von Geländewagen oder Funkgeräten.

Kaputtgespart, kaputtreformiert
Die letzte von mehreren, tatsächlich systemrelevanten Armeeabstimmungen liegt knapp acht Monate zurück. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) kassierte mit ihrem Plan, die Wehrpflicht abzuschaffen, eine schwere Niederlage. Über 73 Prozent lehnten die GSoA-Initiative ab, die am Fundament der bewaffneten Neutralität ansetzte. Kein Kanton unterstützte die Vorlage. 1 761 000 sagten Nein, nur 646 100 legten ein Ja ein. In der Deutschschweiz wuchteten drei von vier Stimmenden die GSoA nieder. Würde dem Stimmvolk eine Stellungnahme über die Zukunft der bewaffneten Neutralität abverlangt, fiele das Resultat noch krasser aus. Dies zeigen die ­konstant hohen Zustimmungswerte bei Umfragen der ETH Zürich von zuletzt über 90 Prozent. Die Rechnung bei einem Nein zum Gripen wäre demnach zwingend:

Mindestens 30 Prozent der Nein-Stimmen kämen von Bürgern, die hinter der Armee und hinter dem Erfolgsmodell der bewaffneten neutralen Schweiz stehen. 

Armeeabschaffer sind in diesem Land nicht mehrheitsfähig. Weder für den eindrücklich für den Gripen kämpfenden Bundesrat Maurer noch für die Armeeführung bestünde also ein Grund, nach einem Nein in Depressionen zu verfallen.

Die Verantwortung für eine hoffentlich bald wieder einsatzfähige, voll­ständig ausgerüstete Armee läge nach einem ablehnenden Volksentscheid exakt bei jener bürgerlichen Mehrheit, die unsere Armee nach 1995 in mehreren Schritten kaputtgespart und kaputt­reformiert hat. 

Es waren die Vertreter von CVP und FDP, die im National- und im Ständerat die Armee unter Anführung der SVP-Bundesräte Adolf Ogi und Samuel Schmid immer näher an jene Nato heranführten, die nun ihre letzten drei Kriege verloren hat (Irak, Afghanistan, Libyen) und die sich im aktuellen Krieg um die Ukraine als handlungs­unfähig erweist.

Es waren nicht ein Andreas Gross, ein Joe Lang oder ein Cédric Wermuth, die erwirkten, dass die Eidgenossenschaft jährlich Milliarden für eine Armee ausgibt, die im Ernstfall nicht einmal mobilisiert werden könnte. Sie waren es auch nicht, die unbewaffneten (!) Luftpolizeidienst auf Bürozeiten reduzierten und utopische zehnjährige Vorwarnzeiten veranschlagten, die es der Armee rechtzeitig erlauben würden, aus dem Schlaf­modus in die Einsatzfähigkeit zu wechseln. 

Wir erleben nun, wie der Traum vom stabilem Frieden in Westeuropa durch das realitätsbezogene Bewusstsein abgelöst wird, wonach sicherheitspolitisch nur glaubwürdig ist, wer das Überraschende meistern kann.

Glaubwürdige Abhalte-Wirkung
Will die Schweiz sicherheitspolitisch wieder ernst genommen werden, muss von ihrer Rüstung, aber auch von ihrer Ausbildung und ihrem Auftreten Ab­­halte-Wirkung ausgehen.

Dissuasion und das Konzept des «hohen Eintrittspreises» werden gegenüber alten und neueren Bedrohungsformen plötzlich wieder aktuell.

Der Gripen E, der in der Schweiz in bestenfalls zehn Jahren operativ voll einsatzfähig sein wird, entspricht diesen Anforderungen nicht. Er steht für ein Friedensprojekt aus einer Zeit, als bewaffnete Auseinandersetzungen in Europa für unmöglich gehalten wurden. Nur wer innerlich davon ausgeht, dass der Jet ausserhalb einfachster Luftpolizeieinsätze nie wirklich gebraucht wird, geht jetzt hin und werkelt über Jahre an einem Jet herum, um morgen oder übermorgen jener Leistungsfähigkeit nachzurennen, wie sie die Schweiz mit dem bestehenden F/A-18 heute schon besitzt.

Bewaffnete Neutralität heisst im internationalen Zusammenhang, Selbstverantwortung zu übernehmen – also aus eigener Kraft Vorsorge zu treffen, dass die Schweiz einen Angriff überleben und mit angemessenen Mitteln zurückschlagen kann. Dies ist der Kern des Schweizer Dissuasion-Konzepts.

Mit einem industriell risikoreichen und sicherheitspolitisch fragwürdigen Entwicklungs­projekt gewinnt die Armee ihre ver­lorene Glaubwürdigkeit nicht zurück. Dies belegen die negativen Schweizer Evaluationsresultate zur operativen Leistungsfähigkeit des Gripen. Es ist massgeblich diese Leistungsfähigkeit, die im Einsatz über Erfolg und Misserfolg entscheidet und die gegen aussen eine Abhalte-Wirkung entfaltet. Wer behauptet, die Kampfkraft von Waffensystemen spiele in einer Armee keine Rolle, es gehe nur um ein Signal nach aussen, schadet letztlich der Glaubwürdigkeit der Armee. Am 18. Mai wird die Frage geklärt, ob die Schweiz die Fähigkeit zum «Säbelrasseln» wirklich besitzen will – oder ob sie sich damit nicht viel eher der Lächerlichkeit preisgibt.

beni.gafner@baz.ch


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