Dienstag, 28. Oktober 2008

Konsolidierungsphase der Armee 21 ?

Die Schweizer Armee ist in einem desolaten Zustand. Die Führung redet jedoch alles schön. Keinen Trost spendet die Tatsache, dass dieser Zustand wohl nicht nur auf die Streitkräfte Schweizerischer Ausprägung zutrifft, sondern wahrscheinlich weltumspannend uns Soldaten als Schicksalsgemeinschaft miteinander verbindet.

Es zeichnet sich ab, dass wir nach der Armeereform 21, die in der Schweizer Geschichte eine nie dagewesene Zäsur dargestellte (den Kantonen wurde die Militärhoheit de facto abgesprochen; die Armeeführung und -verwaltung wurde in Bern zentralisiert; Querschnittsbereiche wurden in eine Logistikbasis und Führungsunterstützungsbasis zusammengefasst; Korps und Divisionen abgeschafft; die unterschiedlichsten Stäbe wurden aus dem Nichts geschaffen und aufgebläht; Doktrinstellen schossen wie Pilze aus dem Boden; Lehrverbände wurden zur Sicherstellung der Grundausbildung kreiert; die Soldatenlaufbahn von derjenigen des Offiziers zum grössten Teil entkoppelt, die Dauer der Unteroffiziersausbildung verdoppelt; dem Wille'schen Erziehungsziel von Adress bei Offizieren und Appell bei Soldaten wurde abgeschworen und die Ausbildung hin zum kritischen Urteilsvermögen von Bürgersoldaten gelenkt... und das alles ohne das Berufskader auf diesen Wechsel irgendwie vorzubereiten. Ist da irgendwer darüber erstaunt, dass dies zum Chaos und totalen Orientierungslosigkeit der Armee führte?), wieder zurück auf Feld eins schreiten: Die alte Armee 61 wird im Zuge der sogenannten "Konsoldierung" der Armee 21 wieder aus der Asche gehoben. Dies im irren Glauben, dass damit der Sinnentleerung der Schweizer Armee entgegen gearbeitet werden könnte. Dies mit der Absicht, die Grundfeste eines durch die Staatspropaganda im Zuge beider Weltkriege und des Kalten Krieges stilisierte, verklärte Mythos' der neutralen, autark wehrhaften Schweiz wieder zu etablieren.

Weiterführende Literatur:
Bevier für den kritisch urteilenden Soldaten
Nabelschau – oder eine Auseinandersetzung mit verschwiegenen Wahrheiten

Montag, 6. Oktober 2008

Können Unternehmen von der US Army lernen?

Offene, hierarchiefreie Lernkultur mit Vorbildcharakter

von Dietrich von der Oelsnitz und Michael W. Busch
Univ.-Prof. Dr. Dietrich von der Oelsnitz ist Leiter des Instituts für Organisation und Personal an der Technischen Universität Braunschweig; Dr. rer. pol. Michael W. Busch ist wissenschaftlicher Assistent am selben Institut.

Lernen wird in Unternehmen durch hierarchische Schranken blockiert. Mit der After Action Review praktiziert die US Army einen weitgehend hierarchiefreien Erfahrungsaustausch. Die Autoren des folgenden Beitrages ergründen die Frage, ob sich diese Kultur der Teilung von Wissen allenfalls auch auf zivile Unternehmen übertragen liesse.


Auch wenn das Image der US Army durch den Irak-Krieg und den Folterskandal im Abu-Ghraib-Gefängnis nicht unbedingt gefördert wurde, kann sie dennoch in mancherlei Hinsicht ein Vorbild sein. Hinter ihr verbirgt sich nämlich nicht nur eine logistisch und technologisch bemerkenswerte Erscheinung. Es ist die offene, erstaunlich hierarchiefrei gelebte Lernkultur, die das amerikanische Heer zu einem interessanten Erkenntnisobjekt auch für Unternehmen macht. Die Rede ist von der After Action Review (AAR), einem seit dem Vietnam-Krieg praktizierten und konsequent weiterentwickelten Feedback-Instrument, das einsatzbegleitendes Lernen gezielt anregt. Noch während eines Kampfeinsatzes oder einer Übung erfolgen Nachbereitungen von Abläufen, deren Erkenntnisse dann unmittelbar in den darauffolgenden Handlungen umgesetzt werden.
Die Leitung einer AAR übernimmt ein Zug- oder ein Gruppenführer.
Dieser hat die Aufgabe, die Diskussion zu kanalisieren und für ausgewogene Redebeiträge der einzelnen Teilnehmer zu sorgen. Wichtig ist zweierlei: zum einen die zeitliche Nähe zum Geschehen, die gewährleistet, dass die Eindrücke der Beteiligten noch frisch und damit verwertbar sind, zum anderen die zeitlich straffe Durchführung, die ein Verheddern in Details verhindert.

Systematische Fragestellung

Unterstützend wirkt in diesem Zusammenhang die Struktur, denn in der AAR werden stets dieselben vier Fragen geklärt:
Was wollten wir erreichen (Sollzustand)? Was haben wir tatsächlich erreicht (Istzustand)? Warum haben wir es (nicht) erreicht (Abweichungsanalyse)? Was können wir daraus lernen, bzw. was können wir direkt im Anschluss besser machen (Aktionsplan-Erstellung)?
Der Schwerpunkt liegt auf dem letzten Schritt. Das heisst: Konstruktives, nach vorne gewandtes Lernen steht über dem endlosen Ergründen von Fehlern und Umständen. Es geht nicht darum, ein Geschehen im Massstab eins zu eins wiederzukäuen, sondern darum, möglichst rasch zum ursächlichen Kern eines Problems vorzustossen. Im Vordergrund müssen daher Schlüsselereignisse stehen, das heisst solche Ereignisse, die bei den Beteiligten besonders starke Emotionen hervorgerufen haben. Im Militärischen können dies eigene Verluste gewesen sein, im Bereich des Sports Spielabläufe, die ein gegnerisches Tor nach sich zogen, in Unternehmen schliesslich Ereignisse, die dazu führten, einen wichtigen Kunden verloren zu haben.

Hierbei ist allerdings der menschlichen Neigung, sich der intellektuellen Einfachheit halber ausschliesslich auf Fehler zu beschränken und Erfolge mit einem Schulterklopfen zu übergehen, entgegenzutreten. Gerade aus Erfolgen sollte gelernt werden, damit sich diese wiederholen und noch steigern lassen. (...)

Fort Monroe als Schlüsselstelle

(...) liefert in der US Army das 1973 gegründete Training and Doctrine Command (Tradoc) in Fort Monroe (Virginia) die Basis für den Transfer von Erfahrungen und die Entwicklung realitätsnaher Trainingseinheiten. In Verbindung mit dem Center for Army Lessons Learned werden «Best Practices», das heisst bewährte Verfahren und kampferprobte Verhaltensweisen aus einzelnen Truppenteilen, identifiziert und in die gesamte Armee gestreut («Knowledge Dissemination»). Hierzu ist es erforderlich, dass Informationen gefiltert, also von unnötigem Kontext-Ballast befreit werden («Knowledge Distillation»).

Eine reine Übertragung von Erfahrungen aus einem Bereich in den anderen garantiert keineswegs die erfolgreiche Wiederverwendung («Knowledge Reuse»), schliesslich weist jeder Bereich ihm eigene Besonderheiten auf. Aus spezifischen Erfahrungen der Truppe sind also zunächst allgemeinere Erkenntnisse abzuleiten, die erst dann wiederum mit den speziellen Anforderungen im Einsatz effektiv verknüpft werden können.

Es ist wichtig, dass ein Zentralbereich diese Aufgabe aktiv und in alleiniger Verantwortung übernimmt, da einzelne Truppenteile eigene Erfahrungen aus Zeitgründen selten selber weiterleiten und spiegelbildlich auch andere Truppenteile die Erfahrungen anderer zumeist nicht aus eigenem Antrieb nachfragen. Das Training and Doctrine Command und das Center for Army Lessons Learned sammeln daher nicht nur eingehende Informationen, sondern entsenden selbst Expertenteams in die Einsatzgebiete, um Informationen aus erster Hand zu erlangen und eigenständige Beobachtungen durchführen zu können. Aus dem Abgleich mit allen übrigen erfassten Informationen und im kontinuierlichen Austausch mit der operativen wie der steuernden Ebene werden dann entscheidungsrelevante Wissensbestände und verdichtete Erfahrungen (sogenannte Lessons Learned) herausgearbeitet.

So gesehen ist das Training and Doctrine Command nicht nur Ausbildungszentrum und Denkfabrik der US Army, sondern auch Schlüsselstelle im Knowledge Brokering der weltweit operierenden US-Militäreinheiten. Bildet also die AAR den Motor des Erfahrungslernens an der Basis, so sorgt das Kommando in Fort Monroe als Informationsmakler dafür, dass diese Erfahrungen nicht dort kleben bleiben. Wissensmanagement findet demzufolge im Taschen- wie im Grossformat statt. Der derzeitige Befehlshaber, General William S. Wallace, drückt diese Sichtweise folgendermassen aus: «Tradoc is an Army Command, but more important, it has an enterprise role to drive change across the Army.»

Der mitdenkende Soldat

Doch wie ist es der Armee trotz ihren klar erkennbaren und unangefochtenen Befehlswegen gelungen, eine Lernkultur zu entwickeln, in der die Hierarchie einen deutlich niedrigeren Stellenwert einnimmt als in Unternehmen? Zunächst ist die Bereitschaft, untereinander Wissen zu teilen, unter Bedingungen, in denen es um Leben und Tod geht, mit Sicherheit höher entwickelt. Der auf kollektiven Lernfortschritten und nicht auf persönlichen Schuldzuweisungen liegende Fokus der AAR verstärkt diese Bereitschaft. Darüber hinaus wird für gewöhnlich jedem einzelnen Soldaten Wertschätzung entgegengebracht, schliesslich kann noch der vermeintlich einfältigste Fusssoldat über Spezialwissen oder einzigartige Fertigkeiten verfügen, die zu kennen bzw. abzurufen in Kampfhandlungen für alle lebensrettend sein kann. Entsprechend sollte auch jeder Soldat an der AAR teilnehmen und Gehör finden. Dadurch ist nebenbei auch sichergestellt, dass alle innerhalb ihres Bereichs mit den notwendigen Informationen versorgt sind. Sollten Glieder innerhalb der Befehlskette während eines Einsatzes ausfallen, muss jederzeit ein Unteroffizier oder sogar ein Soldat befähigt sein, die Kette wieder zu schliessen, um die operativ-taktische Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.

Dies alles spiegelt eine veränderte Sicht auf den Soldaten wider:
An die Stelle des reinen Befehlsempfängers tritt die mitdenkende, hochtechnisierte Einsatzkraft.
(...)

Hemmnisse in zivilen Unternehmen

Spätestens hier scheint eine Übertragung auf Unternehmensebene nur sehr schwer vorstellbar. Die Amerikaner Thomas H. Davenport und Laurence Prusak raten Unternehmen sogar davon ab, die militärische Lernkultur zu übernehmen, wenn es ihnen nicht ebenso gelingt, Diskussionen ohne Vorwürfe und Beschuldigungen zu führen, Fehler offen einzugestehen und vor allem die Erkenntnisse aus AAR fein säuberlich von Karrierebeurteilungen zu trennen. In der Scheu, Fehler offen einzugestehen und hierarchisch Höhergestellte konstruktiv zu kritisieren, liegt denn auch das entscheidende Übertragungshemmnis. In Unternehmen kann die Hierarchie Lernen geradezu verhindern, indem sie eine Wagenburgmentalität unter den Mitarbeitern erzeugt. Es besteht die Gefahr, dass die AAR zu einer zahnlosen Pflichtaufgabe verkommt und nicht als lebendiges Instrument zum Austausch und Aufbau von Erfahrungen begriffen wird.

Genau hierin aber sieht der Management-Vordenker Peter Senge den wichtigsten Vorzug der AAR. Äusserst erhellend wirken in diesem Zusammenhang Erkenntnisse der beiden amerikanischen Forscher Michael W. Morris und Paul C. Moore, die nachträgliche Analysen von Beinahe-Unfällen in der Luft untersuchten und dabei erhebliche Unterschiede zwischen Privat- und Berufspiloten feststellten. Während die in eine Hierarchie eingebundenen Berufspiloten nach einfachen, zumeist auf äussere Umstände abhebenden Erklärungen suchten (z. B. schlechte Sichtverhältnisse, technische Probleme), waren die Erklärungen der Privatpiloten für die Beinahe-Unfälle wesentlich vielschichtiger und mit Selbstkritik verbunden, bezogen also auch stärker die eigene Person mit ein (z. B. mangelnde Aufmerksamkeit, Reaktionsstörungen).

Hier kommt der prinzipielle Unterschied zwischen Unternehmen und Armeen zum Vorschein. Während in Unternehmen das (berufliche) Schicksal in der Regel vom Urteil des eigenen Vorgesetzten abhängt, hängt es in der Armee in direkter Weise vom Zusammenwirken aller ab. Anders gesagt: Die einen fürchten um ihren Aufstieg oder ihren weiteren Verbleib, die anderen um ihr Leben. Gelingt es Unternehmen nicht, unter den Mitarbeitern die Bereitschaft und die Fähigkeit zu entwickeln, einander ehrlich und uneingeschränkt Feedback zu geben – und zwar ohne Angst vor der Position und den möglichen Sanktionen des Gegenübers –, so dürfte die wirksame Anwendung der AAR auch in Zukunft dem Militär vorbehalten bleiben. Den Unternehmen dürfte das schaden.



weiterführende Literatur:
Miles Kosmopolitis - Brevier für den kritisch urteilenden Soldaten